Gottes Wort und seine Dolmetscher
Diözesanbischof Ägidius Zsifkovics und Burgenlands evangelischer Superintendent Manfred Koch begleiteten ökumenische Pilgergruppe an Wirkstätten Martin Luthers und der heiligen Elisabeth von Thüringen / Bischof und Superintendent betonen gesellschaftspolitische Wichtigkeit von Ökumene / Koch: "Haben definitiv begonnen, alte Gräben zuzuschütten!"/ Zsifkovics: "Vielzitierte ‚christliche Leitkultur‘ ist exaktes Gegenteil von populistischer Angstmache und ohne konkrete Liebe zum Mitmenschen ein Hohn"
Auf einer mehrtägigen Reise durch Thüringen und Sachsen-Anhalt wandelten katholische und evangelische Christen aus dem Burgenland auf den Spuren Martin Luthers und der heiligen Elisabeth von Thüringen. Anspruch der Pilgergruppe war es, dem Glauben und den Lebensmotiven beider Persönlichkeiten an historischen Orten nachzuspüren und herauszufinden, mit welchen Mitteln sie das Evangelium in die Wirklichkeit ihrer jeweiligen Epoche übertrugen: Elisabeth als opferbereite Fürsprecherin der Armen und Ausgestoßenen in der Feudalwelt des Mittelalters, Martin Luther als wortgewaltiger Kommunikator des christlichen Glaubens in einer Sprache, die mit den adäquaten Medien (Buchdruck) die verunsicherten Menschen der beginnenden Neuzeit erreichen konnte.
An den Nervenbahnen europäischer Kultur
Die Reise durch das "Bilderbuch der deutschen Geschichte" (wie der Schriftsteller Arnold Zweig Thüringen nannte) führte aber auch entlang der Nervenbahnen europäischer Kultur und Mentalitätsgeschichte, die trotz Bildung und Buchdruck, trotz großer Namen wie Bach und Händel, Goethe und Schiller in die totalitären mörderischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts führten und auf tragische Weise bewiesen, dass Humanismus im Ernstfall vor nichts schützt. Vor dieser Kulisse stellten sich die burgenländischen Pilger an Originalschauplätzen wie Erfurt, Wittenberg und der Wartburg sehr bewusst dem unerhörten Skandal, dass ausgerechnet das von Jesus, dem Friedensfürsten, gestiftete Symbol der Einheit aller Christen im Räderwerk der Geschichte zum Gegenstand ihrer Spaltung und gegenseitigen Bekämpfung pervertiert ist.
Blaudruck, Liszt, Martinsfest und Windräder: Pannonien ist überall
Dass die Welt sich nur aus dem Zusammenhang erklärt, erlebten die Pilger anhand zahlreicher Querverweise, die auch Bekanntes, Heimatliches zeigten. Nicht nur die uralte Erfurter Handwerkstradition des Blaudrucks, die vielen Windräder auf Thüringens Feldern oder die von sanften Erhebungen durchzogene Weite der Landschaft erinnerten viele der Reisenden an die pannonische Tiefebene. Die Lebensgeschichte der heiligen Elisabeth selbst begann einst in Pannonien, wo sie 1207 in Sárospatak geboren wurde. Als Vierjährige wurde Elisabeth - unter Einfluss der politischen Interessen von Papst Innozenz III. und einer Fürstenkoalition gegen Kaiser Otto IV. - mit dem damals elf Jahre alten Thüringer Landgrafensohn Hermann verlobt und zur Erziehung in deutscher Umgebung und durch ihre Schwiegermutter Sophie nach Thüringen geschickt. Auf der Wartburg, wo sie die meisten Jahre ihres kurzen Lebens verbrachte, ist ihr Weg zur Heiligkeit heute in einem gigantischen Mosaik dargestellt. Und hier, in dieser "Mythensammlerin Wartburg" (Herfried Münkler) befindet sich neben Hinweisen auf den legendären Sängerkrieg auch die Studierstube Martin Luthers als Junker Jörg, der hier bei seiner Bibelübersetzung ins Deutsche mit dem Tintenfass nach dem Teufel warf und für dessen Namenspatron, den heiligen Martin, die Stadt Eisenach alljährlich ein Martinsfest ausrichtet. Und hier stieß die Pilgergruppe nach Elisabeth zuletzt noch auf einen anderen Pannonier von Weltrang, Franz Liszt, der in seiner Zeit als Weimarer Hofkapellmeister aus akustischen Gründen eine bis heute vorhandene Holzdecke für den berühmten Festsaal der Wartburg vorschlug.
Bischof Zsifkovics im Herzen Thüringens: "Füße, auf denen Gott durch Europa gehen will"
Der heilige Bonifatius, Apostel der Deutschen, der über die Errichtung und Leitung des Bistums Salzburg 739 auch große historische Bedeutung für das damals kirchlich zu Salzburg gehörige pannonische Gebiet hatte, ist auch der Gründer der Stadt Erfurt. Martin Luther war hier 700 Jahre später Student, wurde hier Augustinermönch und 1507 im Erfurter Dom zum katholischen Priester geweiht. Im Zuge einer ökumenischen Feier in der benachbarten Severikirche ging Diözesanbischof Ägidius Zsifkovics in seiner Predigt auf das große Thema der Pilgerreise ein: die Beschäftigung Martin Luthers und Elisabeths von Thüringen mit Gottes Wort, "das sie beide als Prediger der einen Christenheit, beide als Ordensleute, beide als mehr oder weniger unfreiwillige Bewohner der Wartburg, in ihre jeweilige Zeit übersetzten." Damit zeigten beide das „Wort Gottes als ewig gültigen Maßstab auf, den es zu übernehmen gilt, um den Verwicklungen und Verstrickungen unserer heutigen Gesellschaft in die mannigfachen Formen der Sünde zu entkommen." Es sei dies eine "Form wahrer Leitkultur, die Brot mit Liebe austeilt, Gottes Züge im Antlitz der Armen erkennt und auf Gott allein vertraut", so Zsifkovics. "Mit beiden, Elisabeth und Martin, ging Gott durch Thüringen und verteilte sich. Durch uns will Gott heute durch Europa gehen - leben wir wie Christen, dann brauchen wir keine Angst um dieses Europa zu haben und irgendwelchen Leitkultur-Phrasen auf den Leim zu gehen!" Die Erfahrung lehre, so Zsifkovics, "dass diejenigen, die im gesellschaftlichen Diskurs das Wort von der ‚christlichen Leitkultur‘ am lautesten im Munde führen, nicht selten diejenigen sind, die ihren sozialen und politischen Vorstellungen, oft auch ihrer eigenen Lebensweise zufolge recht unverhohlen auf das Christliche pfeifen. Das Wort christlich lädt im Sinne des Evangeliums einen jeden von uns ein zur ständigen kritischen Selbsterforschung. Es ist kein Wohlfühlwort und eignet sich weder für populistische Kreuzzügler noch für die Museumswärter eines ängstlichen identitären Kulturbegriffes."
Taufe als zentrales Ereignis und Adelstitel der Christen
Eisleben, die Stadt, in der Luther geboren und auch getauft wurde, war für die Pilgergruppe Schauplatz einer besonderen Vergegenwärtigung. Luther hat seine Taufe zeitlebens als eines der wichtigsten Ereignisse in seinem Leben bezeichnet. Er beschrieb die Taufe als Geschenk Gottes, für die kein Mensch in Vorleistung treten muss. In der neu gestalteten und mit dem Architekturpreis 2013 des Landes Sachsen-Anhalt ausgezeichneten St. Petri-Pauli-Kirche hielt die Gruppe Andacht am faszinierend gestalteten, den Kirchenboden in einem Kreisrund öffnenden Taufbrunnen. "Leben ist wie das in diesem Brunnen fließende Wasser ein ständiges Werden: ein Fromm-Werden, ein Gesund-Werden, ein Versöhnt-Werden und vieles mehr. Unser Dasein erklärt sich nicht von einem Ende her, sondern durch einen Weg, den wir zurücklegen in gegenseitigemAufeinanderbezogensein", so Superintendent Koch in seiner Meditation vor der Pilgergruppe. Auch Michael Wüger, stellvertretender Generalvikar der Diözese Eisenstadt und designierter Pfarrer von Neusiedl, zeigte sich von der Architektur der evangelischen Kirche begeistert: "Dieser Taufbrunnen ist die kongeniale Umsetzung des theologischen Verständnisses von Taufe, wo das Hinuntersteigen Jesu ins Grab zur Erlösungstat für alle wird, die sich in der Taufgnade und im Hinabsenken des Täuflings ins Taufbecken widerspiegelt. Es ist der wahre Adelstitel der Christen, dessen wir uns oft nicht genug bewusst sind."
Christliche Persönlichkeiten: Vor ideologischem Kidnapping nicht gefeit
Die Stationen der Pilgerfahrt machten aber auch zunehmend bewusst, dass beide, Elisabeth wie Martin, nicht gefeit waren vor eigennütziger, gerne auch unchristlicher Vereinnahmung, bereits nicht zu Lebzeiten und schon gar nicht danach. So bastelten sich viele "ihren" eigenen Luther: die deutschen Fürsten und Mächtigen des 16. Jahrhunderts je nach politischer Opportunität den Ketzer oder Reformator Luther; das romantische 19. Jahrhundert den Einiger Deutschlands; der Nationalsozialismus den Judenfeind; die kommunistische DDR den Stammvater des Sozialismus. Und Elisabeth von Thüringen verdankte ihre Heiligsprechung, die bereits wenige Jahre nach ihrem Tod erfolgte, dem Einfluss und Netzwerk eben jenes Adelsgeschlechts, in das sie eingeheiratet hatte und das sie nach dem Tod ihres Mannes mitsamt den drei Kindern aus dem Haus gejagt hatte. Eine Heilige in der eigenen Familie machte sich gut im Prestigedenken einer Feudalwelt der miteinander konkurrierenden Fürstentümer, deren "Wettrüsten" in Repräsentativbauten und im Sammeln von Kunst und mitunter Reliquien bestand. Dennoch haben beide Persönlichkeiten "auf ihre Weise Gott gelobt und laden uns ein, in der heutigen Zeit dasselbe zu tun und mit den uns gegebenen Talenten und Möglichkeiten aus unserem Taufauftrag heraus den Menschen zu dienen", so Generalvikar Martin Korpitsch bei seiner Predigt im Rahmen einer Vesper im Zisterzienserinnenkloster Helfta.
Brückenschlag an dem Ort, an dem die Spaltung begann
Die Reise schloss mit dem Besuch Wittenbergs, wo Luther mit seinen 95 Thesen die deutsche Reformation eingeleitet hat. In der Stadt- und Pfarrkirche St. Marien - der Ort, an dem Luther 2500 Mal predigte und wo die Heilige Messe zum ersten Mal in deutscher Sprache gefeiert wurde - wohnte die ökumenische Pilgergruppe einem Abendmahlsgottesdienst bei, für viele katholische Mitchristen eine interessante Möglichkeit, die von Martin Luther aus der lateinischen Messe abgeleitete Gottesdienstform kennenzulernen. Der örtliche Superintendent Christian Beuchel begrüßte die ökumenische Pilgergruppe aufs Herzlichste und gab den PilgerInnen in seiner Predigt eine zukunftsweisende Gewissensfrage mit auf ihren weiteren Lebensweg: "Sind die Zusagen Gottes, Seine Gnade, wirklich noch gegenwärtig in unseren Gedanken?"
In einem Schlusswort dankte Bischof Zsifkovics Superintendent Beuchel für die Auslegung des Wortes Gottes. Es sei ihm Grund zu besonderer Freude gewesen, "am Ort der Reformation und noch dazu an einem Freitag, dem Todestag Jesu Christi, gemeinsam als Schwestern und Brüder zu feiern", so Zsifkovics. Er wünsche allen evangelischen und katholischen Christen, und insbesondere den Teilnehmern der Pilgerreise, "dass sie drei Dinge bei ihrem Christsein stets im Blick behalten mögen: das Wort Gottes, das Martin Luther so hoch in Ehren hielt; das Brot, das die heilige Elisabeth mit so viel Liebe an die Armen verteilte; und das Kreuz als das hohe Zeichen der Hoffnung über Schmerz, Tod und Vergänglichkeit hinaus."
Gemeinsam feiern, gemeinsam entdecken, gemeinsam lachen als ökumenische Triebmittel
"Was ich in dieser gemeinsamen Woche erleben durfte, ist etwas bisher Einzigartiges - im Burgenland und in ganz Österreich! Wir haben definitiv begonnen, alte, schmerzliche Gräben zuzuschütten. Die Gräben wird es vielleicht noch länger geben, aber wir werden sie letztlich überwinden. In dieser Woche haben wir eine große Brücke gebaut. Mögen viele andere über diese Brücke gehen und sie weiter ausbauen!" Mit diesen Worten zieht Superintendent Manfred Koch sein persönliches Resümee dieser Reise und betont, dass viele noch heute bestehende Trennlinien aus Tradition, nicht aus Theologie heraus erfolgt sind. "Uns verbindet in Wahrheit viel mehr als uns trennt", so Koch wörtlich.
Und KA-Generalsekretär Karl Woditsch, Mitglied des Pilgerkomitees der Diözese Eisenstadt, ergänzt: "Gemeinsam zu feiern, gemeinsam zu entdecken und gemeinsam zu lachen sind wichtige Stufen auf dem Weg der Ökumene. Ich glaube, wir haben ein Stück Diözesangeschichte geschrieben!"