Seelsorgertag thematisiert sexualisierte Gewalt im Kontext der Kirche
Der bekannte deutsche Psychotherapeut und Theologe Wunibald Müller am Seelsorgertag der Diözese Eisenstadt: "Die Prävention gegen sexualisierte Gewalt muss als integraler Bestandteil kirchlicher Arbeit verstanden werden, um eine Kultur des achtsamen Miteinanders zu entwickeln" - Bischofsvikar P. Lorenz Voith nennt die Tagung einen "wichtigen Baustein für die Sensibilisierung und aktive Prävention von Missbrauchsfällen im kirchlichen Bereich"
Eisenstadt – Die aktuellen weltweiten Berichte über sexuellen Missbrauch im Bereich der Kirche waren auch beim Seelsorgertag 2018, den die Diözese Eisenstadt am gestrigen Donnerstag im Eisenstädter Haus der Begegnung veranstaltete, ein zentrales Thema. "Die Prävention gegen sexualisierte Gewalt muss als ein integraler Bestandteil kirchlicher Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sowie erwachsenen Schutzbefohlenen verstanden werden. Ziel ist es, eine neue Kultur des achtsamen Miteinanders zu entwickeln": Das sagte der renommierte deutsche Psychotherapeut und römisch-katholische Theologe Wunibald Müller, der sich in seiner Arbeit seit vielen Jahren mit Opfern und Tätern sexualisierter Gewalt beschäftigt.
Kultur der Achtsamkeit und Präventionsarbeit
Für diese Kultur der Achtsamkeit würden alle in der Kirche Mitverantwortung tragen. Die Kirche müsse "allen Kindern, Jugendlichen und erwachsenen Schutzbefohlenen einen sicheren Lern- und Lebensraum bieten, in dem ihre menschliche und geistliche Entwicklung gefördert sowie ihre Würde und Integrität geachtet wird", so Müller. Grundvoraussetzung seien "transparente, nachvollziehbare, kontrollierbare und evaluierbare Strukturen und Prozesse zur Prävention gegen sexualisierte Gewalt".
Missbrauch: Kontrolle über instrumentalisierte andere
Hinter verschiedenen Formen von Missbrauch stehe die gezielte Absicht, Kontrolle darüber zu erhalten, wie andere denken, fühlen und sich verhalten. Besonders anfällig für sexuellen Missbrauch seien Situationen, "in denen es ein Gefälle gibt in der Beziehung, in denen die sonst üblichen Schutzvorrichtungen zurückgenommen worden sind. Es sind Situationen, in denen Menschen sich aus ihrem Vertrauen heraus so sehr und so weit geöffnet haben, dass dadurch ihre Fähigkeit, sich zu schützen, eingeschränkt ist", erläutert der Experte in seinem Vortrag am Seelsorgertag im Eisenstädter Haus der Begegnung.
Schutz und Würde als oberstes Anliegen
Macht spiele somit eine große Rolle bei sexuellem Missbrauch. Macht könne positiv zur Integration beitragen, im negativen Sinne werde Macht jedoch dazu eingesetzt, "um zu manipulieren oder auszubeuten", so Müller. Angst, Scham oder das Gefühl, verraten worden zu sein oder in der Falle zu sitzen, seien Gründe, warum Opfer über den Missbrauch (zunächst) oft schweigen und diesen nicht sofort melden. Der Schutz und die Würde von Kindern, Jugendlichen und schutzbedürftigen Erwachsenen müsse oberstes Anliegen kirchlicher Arbeit sein.
"Priester muss sich mit seiner Sexualität auseinandersetzen"
Müller fordert, dass sich "zukünftige Priester psychosexuellen Entwicklungsschritten stellen, die am Ende dazu führen, verantwortungsvoll mit ihrer Sexualität umgehen zu können und beziehungsfähig zu sein."
Dazu gehöre eine "gelungene sexuelle Identitätsfindung und Befähigung zur Intimität. Ein Priester müsse weiter fähig sein zur Intimität. Die Fähigkeit zur Intimität zeigt sich in der Fähigkeit, Nähe unterschiedlicher Art bei sich zulassen und anderen schenken zu können. Sie meint weiter die Fähigkeit, die Intimsphäre anderer respektieren sowie die eigene Intimsphäre schützen zu können", verdeutlicht der Psychotherapeut und Theologe. Es brauche eine geerdete Spiritualität, die achtsam mache und dazu befähige, anderen mit Respekt zu begegnen. "Ein Priester muss sich auch mit seiner vitalen Seite und insofern auch mit seiner Sexualität auseinandergesetzt haben", so Müller.
"Augenblickliche Krise als Chance für Heilung"
Die "augenblickliche Krise" in der Kirche sieht er aber auch als "Chance für Heilung": "Endlich ist ein Damm gebrochen, hinter dem so viel an seelischer Not, Scham, Hilflosigkeit, Angst, Schmerz zurückgehalten wurden. Jetzt kann für viele der Betroffenen der Heilungsprozess weitergehen. Das sollte auch von der Kirche so gesehen und gewürdigt werden und die Zahl derer unter den Verantwortlichen, die das so sehen, wächst", betont Wunibald Müller.
Bischofsvikar Voith: Wichtige Sensibilisierung, aktive Prävention
Der für die Orden zuständige Bischofsvikar P. Lorenz Voith, zugleich Subregens im Priesterseminar, sprach vom Seelsorgertag als einen "wichtigen Baustein für die Sensibilisierung, die aktive Prävention und Bearbeitung von Missbrauchsfällen im Bereich der Kirche. Sexueller Missbrauch hat immer auch etwas mit Macht und Machtmissbrauch zu tun", betonte der Bischofsvikar. Er verwies zudem auf Papst Franziskus, der in diesem Zusammenhang von einem Klerikalismus gesprochen habe, den es zu überwinden gelte.
6 Seminaristen aus der Diözese Eisenstadt
Das Thema des sexuellen Missbrauchs werde "auch im Ausbildungshaus der drei Priesterseminare Wien, St. Pölten und Eisenstadt in Wien zukünftig einen noch wichtigeren Platz einnehmen", hob P. Voith, Subregens im Priesterseminar, hervor. Mit September 2018 zählt das Priesterseminar knapp 50 Seminaristen, davon kommen sechs aus der Diözese Eisenstadt. Insgesamt verzeichnet das Priesterseminar heuer sieben Neueintritte, darunter einen für die Diözese Eisenstadt. Knapp die Hälfte der Seminaristen, die zwischen 18 und 65 Jahre alte sind, absolvieren ein Externjahr oder ein Praktikums- bzw. Diakonatsjahr. "Gut bewährt hat sich die seit einem Jahr bestehende Zusammenarbeit der drei Diözesen unter einem Dach", resümierte Bischofsvikar P. Voith.
"Nur Mut: Berufungen sind mitten unter uns"
Der Bischofsvikar hob im Rahmen der Seelsorgertagung auch die Verantwortung der Pfarrer und Seelsorger vor Ort hervor, wenn es um geistliche Berufe geht. "Wann habt ihr zum letzten Mal einen für euch geeigneten jungen Menschen gefragt, ob er sich nicht vorstellen könnte einen geistlichen Beruf zu ergreifen?": diese Frage müssen sich Seelsorger vor Ort stellen, so Bischofsvikar P. Voith: "Aus den Erfahrungen in der Priesterbegleitung wissen wir, dass wir solche `Anfragen` nicht unterschätzen dürfen. Berufungen sind mitten unter uns; manchmal brauchen diese aber einen ‚Weckruf‘ Also nur Mut!", so der Appell des Bischofsvikars.
Bischof Zsifkovics: Kirche muss junge Menschen für Gott begeistern können
"Der stärkste Gradmesser unserer kirchlichen Arbeit ist das Vermögen, junge Menschen für Gott zu begeistern": Das betonte Diözesanbischof Ägidius J. Zsifkovics im Rahmen des Seelsorgertages 2018, den die Diözese Eisenstadt am Donnerstag im Haus der Begegnung veranstaltete. "Gelingt es uns nicht, diese Begeisterung zu wecken, sind wir als Kirche vom Baum des Lebens abgeschnitten, dann veraltern wir, und schließlich vergreisen wir. Papst Franziskus zeigt, wie Jung und Alt zusammen leben, gemeinsam wachsen und die Gesellschaft menschlicher machen können", so der Bischof wörtlich.
Mit der Jugend im Dialog über Schlüsselfragen der Zeit
Die Kirche, so die Schlussfolgerung von Bischof Zsifkovics, müsse gegenüber der Jugend "dialog-, gesprächs- und auskunftsfähig bleiben", und zwar gerade hinsichtlich zentraler Fragen unserer Zeit: "Ob es nun um die ‚Wegwerfgesellschaft‘ oder die Flüchtlingsfrage geht, um den Klimaschutz oder die atomare Bedrohung, um Erziehung und Familie, um Arbeit und Würde oder um das Verhältnis von Glaube und Wissenschaft". Die Kirche müsse offen für junge Menschen sein, sodass für sie "Gott nicht als abstrakt, kalt und weltfremd, sondern als Realität erlebbar wird".
Zsifkovics: "Kreativität und Authentizität hält uns jung"
Ausdrücklich nahm Bischof Zsifkovics auf das Buch "Gott ist jung" von Papst Franziskus Bezug, in dem der Heilige Vater dazu ermutigt, nicht nur "alte Träumer und junge Propheten zu sein. Vielmehr will der Papst, dass wir Protagonisten statt bloß Touristen des Lebens sind." Die Kirche müsse eine ständig junge Kirche bleiben, in der auch die Älteren nie ihre Kreativität und Authentizität verlieren dürfen, "weil genau das uns selbst jung erhält und uns anziehend und glaubhaft für junge Menschen macht."
Null-Toleranz bei Fehlverhalten gegenüber jungen Menschen
Wenn es um die Würde junger Menschen geht, müsse diese von der Kirche "mit einem ewig jungen Gott im Zentrum mit allen Mitteln geschützt werden." Das bedeute, so der Bischof, dass "in unserer Diözese bei Fehlverhalten gegenüber Kindern und Jugendlichen ein Null-Toleranz-Prinzip gilt", macht der Diözesanbischof unmissverständlich deutlich.
Jeder müsse sich bewusst sein, "wie hoch die Fallhöhe ist, wenn es im kirchlichen Bereich zu Missbrauch und Gewalt kommt", so Bischof Zsifkovics. Jegliche Form des Missbrauchs im kirchlichen Bereich müsse verhindert werden: "Wir als Seelsorger müssen unserer großen Verantwortung für das Wohl schutzbefohlener Menschen gerecht werden."
Dank an Schwesterngemeinschaft: "Wahrer Schatz"
Bischof Zsifkovics kam soeben aus Straßburg zurück, wo vergangenen Sonntag Alphonsa Maria (Elisabeth) Eppinger, die Gründerin der Schwestern vom Göttlichen Erlöser, im Rahmen eines feierlichen Gottesdienstes im Münster seliggesprochen wurde. Der Bischof nutzte den Seelsorgertag, um sich ausdrücklich bei der Schwesterngemeinschaft zu bedanken, "die gerade auch hier im Burgenland über Generationen hinweg in den Bereichen Bildung, Erziehung und Soziales großartige Arbeit geleistet hat." Mit ihrem Engagement nicht zuletzt in der Pädagogik vom Kindergarten bis zur Schule seien sie zu einem "wahren Schatz in der Ordenslandschaft des Burgenlandes" geworden, der "aus der Geschichte nicht wegzudenken" sei. Für Bischof Zsifkovics sei die Seligsprechung von Alphonsa Maria Eppinger, die 1814 als erstes von elf Kindern in Bad Niederbronn im Elsass geboren wurde und ihr Leben in den Dienst der Armen, Alten und Kranken stellte, "zuallererst Anlass zu großer Freude, großem Dank und großem Stolz – gerade auch für unsere Diözese."
Wiedererstarken des Geistlichen als Hinwendung zu den Rändern
Diese Seligsprechung sei gerade auch für die Seelsorge eine Quelle und ein Anlass, "um in Zeiten von rückläufigen geistlichen Berufungen und schwindender Kraft neuen Mut zu fassen." Sie sei Inspiration und Ermutigung, "an die Ränder der Gesellschaft zu gehen, zu den Bedürftigen, den Schwachen, den Armen, den Leidenden und den Suchenden." Genau dies sei der Weg, um "neues Leben" in die "schwach gewordenen Ordensgemeinschaften, die schwach gewordenen Priesterseminare, die schwach gewordenen Pfarrgemeinden und Familien zu bringen".
Diözesanjubiläum 2020: Aufruf zur "ehrlichen Selbstvergewisserung"
Den Weg, den es in der Diözese Eisenstadt konsequent weiterzugehen gelte, sei der Neue Pastorale Weg. Dieser sei mittlerweile zu einem "irreversiblen, konkreten und positiven Prozess" gereift, der die ersten Seelsorgeräume auf Schiene gebracht hat. Neben der Organisation der Seelsorgeräume sei auch die Frage nach dem effektiven und effizienten Einsatz der bestehenden Ressourcen in der Kirche aktueller Gegenstand der kirchlichen Arbeit. Und schließlich fordert Bischof Ägidius Zsifkovics dazu auf, das Diözesanjubiläum im Jahr 2020 als Anlass zu einer "ehrlichen Selbstvergewisserung" zu nehmen, "um sich zu fragen, wo wir dann – 60 Jahre nach Gründung der Diözese Eisenstadt – als kirchliche Gemeinschaft stehen werden, wie effektiv und glaubwürdig wir als Christen sind", so der Bischof, der am Seelsorgertag die herzliche Einladung aussprach, genau diesen gemeinsamen Weg einer jungen, kreativen, authentischen, ehrlichen und sich selbst vergewissernden Kirche weiterzugehen.