Worte der Versöhnung an einem Ort des Schmerzes
27 Jahre nach dem "Massaker von Vukovar" findet der Eisenstädter Bischof Ägidius Zsifkovics als Gastprediger vor Kroatiens Staatsspitze mutige Worte der Versöhnung - Vielbeachteter Appell des Bischofs an Kroatiens Gesellschaft, "den Geist des Balkans auszuatmen und den Geist Europas einzuatmen" - Diözese Eisenstadt war im Jugoslawienkrieg Zufluchtsort für Priesterseminaristen aus der Diözese Djakovo.
Vukovar - Es grenzt beinahe an ein Wunder, dass Eisenstadts Diözesanbischof Ägidius Zsifkovics mit zwei heilen Füßen zurück ins Burgenland gekommen ist. Glich doch seine kroatienweit im TV sowie im Internet übertragene Gastpredigt einem "Gang auf einer Rasierklinge", um die drastischen Worte des Zagreber Bürgermeisters Milan Bandić zu verwenden. Bandić verfolgte so wie viele andere Repräsentanten des offiziellen Kroatiens die jährliche, diesmal am 18.11.2018 abgehaltene Gedenkfeier aus Anlass eines der grauenhaftesten Ereignisse des Jugoslawienkrieges vor mehr als einem Vierteljahrhundert. In diesem Jahr war Bischof Zsifkovics auf Einladung des Erzbischofs und Metropoliten von Djakovo-Osijek, Erzbischof Djuro Hranić, als Gastprediger nach Vukovar gekommen. An einem Ort, an dem der Schmerz des Krieges heute noch spürbar ist, fand Eisenstadts Bischof Worte der Versöhnung, die wohl niemanden kalt ließen und ohne Übertreibung als staats- und europatragend bezeichnet werden dürfen.
27 Jahre danach
Jahr für Jahr sind es mehrere 10.000 Besucher, die um den 20. November herum aus ganz Kroatien und teils auch aus der kroatischen Diaspora im Ausland anreisen, um in Vukovar der gefallenen, misshandelten, verschleppten oder verschollenen Opfer des Jugoslawienkrieges zu gedenken. In einem kilometerlangen Fußmarsch bewegte sich auch diesmal die "Kolonne des Gedenkens" vom Krankenhaus von Vukovar, dem Ursprungsort des gleichnamigen Massakers, zum Friedhof der Kriegsopfer. Unter den Pilgern diesmal Bischof Zsifkovics mit neun anderen Bischöfen, unter ihnen Ortsbischof Hranić und der Erzbischof von Sarajevo Kardinal Vinko Puljić, sowie die kroatische Staatsspitze mit Präsidentin, Ministerpräsident und Ministern und zahlreichen Priestern und Ordensleuten. Insgesamt sollen in diesem Jahr an die 65.000 Menschen an der Veranstaltung teilgenommen haben.
Sprache der Heilung für eine offene Wunde
Der Ort Vukovar und die Gefühle seiner Menschen gleichen einer "offenen Wunde", auch und gerade angesichts so vieler Vermisster und so vieler Mütter, die bis heute nicht die Gräber ihrer Söhne kennen. Dies stellte Zsifkovics gleich zu Beginn seiner Predigt in den Raum und ließ damit erkennen, dass er sich der Schwierigkeit, an einem Ort heute noch bestehender Fronten und Risse am Balkan die passenden Worte zu finden, höchst bewusst war. So galt zu allererst der Gruß des Bischofs "den Invaliden, den Überlebenden des Krieges, aber auch seinen Toten und den vielen Menschen, die Tote zu beklagen haben". Er verneige sich "vor allen Toten des Jugoslawienkrieges sowie vor den Toten der Kriege aller Zeiten, ohne Rücksicht auf ihren Glauben, ihre Religion oder Nation".
Zsifkovics: "Atmet den Geist des Balkans aus und den Geist Europas ein!"
Aufbauend auf den Text der liturgischen Lesung vom Tag, dass die Menschen durch Christi Tod versöhnt seien, führte der Bischof die für Christen einzig denkbare Konsequenz vor Augen, dass es "auch in Vukovar keinen anderen Weg als den der Versöhnung" geben könne. Zsifkovics bat die Menschen um "Vergebung, Versöhnung und friedliches Zusammenleben als direkten Auftrag des Evangeliums Jesu Christi". Dazu gehöre es auch, keine Pauschalverurteilungen des serbischen Volkes vorzunehmen und gegen jede Form der Feindschaft zwischen den Völkern aufzutreten. "Es gibt keine kollektive Schuld, weder auf der einen noch auf der anderen Seite", so Zsifkovics in aller Deutlichkeit, "Schuld auf sich geladen haben einzelne Individuen". Dies gelte auch für die Konflikte zwischen katholischer und orthodoxer Kirche am Balkan, wo nur die Bereitschaft zu Vergebung und Versöhnung der Gesellschaft eine gute und friedliche Zukunft ermöglichen würde. Der Bischof spreche hier als Stifter des Grundes für den Bau des ersten orthodoxen Klosters in Österreich aus eigener Erfahrung. Als großer Freund der Ökumene sei es für ihn unfassbar, welche Gräuel am Balkan unter Christen möglich gewesen sind. Vukovar möge in Zukunft nicht Symbol des Leides, sondern der "Aufarbeitung und der Gerechtigkeit" sein. Denn eine auf seelischer Reinigung basierende Versöhnung könne ihrerseits "nur auf Grundlage der Wahrheit" geschehen. Zsifkovics wörtlich in Hinblick auf die Tendenzen von Geschichtsverfälschung und Mythenbildung: "Öffnet die Archive und zieht die unwürdigen Archivare zur Verantwortung! Atmet den Geist des Balkans aus, atmet den Geist Europas ein, denn ihr seid Europa!"
Stimmung für konstruktive Baumeister, gegen "unwürdige Archivare"
In seiner 24 mal durch Applaus unterbrochenen Predigt blieb Zsifkovics wohl niemandem etwas schuldig, wobei er die an vielen Stellen brennende Heilsalbe des geistlichen Wortes immer mit Feingefühl und Respekt auftrug. Medienverantwortliche und Journalisten bat er, "das Schwarze von den Bildschirmen" zu holen, welches das Schlechte und die Traurigkeit einer Gesellschaft zu exklusivieren drohe, und stattdessen viel stärker das Weiße, das Gute zu benennen und damit gleichsam das Hoffnungsvolle in der Gesellschaft zu aktivieren. Kroatiens Politiker bat Zsifkovics "damit aufzuhören, gesunde Kräfte für politisches Hickhack zu vergeuden". Der Bischof wörtlich: "Das Volk hat Euch gewählt, damit ihr konstruktiv arbeitet. Seid Baumeister, nicht Demolierer! Seht das Positive Eures Landes, reinigt dazu Eure Brillengläser, die oft durch persönliche Interessen verschmiert sind!" Keinen Hehl machte Zsifkovics aus seiner Wertschätzung für Kroatiens Staatspräsidentin Kolinda Grabar-Kitarović, "für ihr Herz, mit dem sie als weise Frau ihrem Volk vorangeht", aber auch für "ihren Stolz und ihre Tränen", die etwa angesichts des Ausscheidens der Kroatischen Fußballnationalmannschaft bei der WM 2018 zu zeigen sie sich nicht geschämt hatte. Und an die Gläubigen appellierte der Bischof eindringlich, sich als Teil Europas und als aktiven Beitrag zu eben diesem gemeinsamen Europa zu sehen - "dies nicht nur als Nehmer von Fördergeldern, sondern als Geber von christlichen, menschlichen und moralischen Werten." Aus einer solchen Haltung nur könne schließlich der Mut und die Bereitschaft erwachsen, das eigene Land aufzubauen und nicht auf der Suche nach dem Heil in der Fremde auszuwandern.
Mehr als 200.000 Klicks für Lied von Ivo Šeparović während Zsifkovics-Predigt
Am Ende seiner Predigt ließ Bischof Zsifkovics noch einmal das Herz sprechen: Ivo Šeparović, charismatischer Chorleiter des vom Eisenstädter Bischof gegründeten internationalen Chores "Pax et Bonum" war mit nach Vukovar gekommen und trug live das Lied "Weine nicht, Mutter!" vor. Bischof Zsifkovics schloss daran an mit der Ermutigung aller, angesichts so vieler Wunden nicht länger zu weinen, aufrecht in die Zukunft zu gehen und sich im Schutze und Segen Gottes geborgen zu wissen. Mit zwischenzeitlich weit mehr als 200.000 Klicks im Internet wird nochmals offenbar, wie sehr eine vom Krieg immer noch gezeichnete Gesellschaft diese Botschaft braucht.
Kroatische Regierung übernimmt Ehrenschutz für Benefizkonzert von "Pax et Bonum"
Bereits am Donnerstag vor der Gedenkmesse hatte die kroatische Regierung im Rahmen ihrer wöchentlichen Regierungssitzung als eigenen Tagesordnungspunkt beschlossen, gemeinsam mit der Stadt Zagreb den Ehrenschutz für ein Konzert von "Pax et Bonum" im kommenden Jahr zu übernehmen. Das Konzert wird in Zagrebs berühmtester Konzerthalle stattfinden und ein Benefizkonzert zugunsten von Vukovar sein. Bischof Zsifkovics dankte Premierminister Plenković bei der Messe ausdrücklich für die große Ehre, die die Regierung Kroatiens dem Chorprojekt der Burgenlandkroaten erweist.
Wiedersehen mit alten Freunden in besseren Zeiten
Am Montag nach der Gedenkveranstaltung in Vukovar feierte Bischof Zsifkovics noch eine Messe mit Seminaristen des Priesterseminars der Diözese Djakovo. Es war ebenfalls eine Feier mit starkem emotionalen Hintergrund: Vor 27 Jahren war das ganze Seminar im Zuge der Wirren des Jugoslawienkrieges nach Mattersburg ins Knabenseminar geflohen. Dort verbrachten die Kandidaten ein ganzes Studienjahr, bis sie wieder nach Hause zurückkehren konnten. In Mattersburg empfangen hat sie damals ein junger, spindeldürrer Ordinariatskanzler namens Ägidius Zsifkovics. Sein Chef, Bischof Stefan László, hatte ihn gebeten, die jungen Männer sprachlich zu betreuen und für ihr Wohl bei Studium und Unterkunft zu sorgen. Das jetzige Wiedersehen im Seminar, bei dem auch Kollegen von damals sich blicken ließen, sorgten auch für die eine oder andere Freudenträne. Schließlich durfte man einander jetzt in besseren Zeiten wiederbegegnen. Diese "besseren Zeiten" gilt es mit aller Kraft zu pflegen und zu erhalten.
Das Massaker von Vukovar (1991) war ein im Kroatienkrieg begangenes Kriegsverbrechen von Mitgliedern der Jugoslawischen Volksarmee und Mitgliedern verschiedener serbischer Freischärlerverbände, das während der Loslösung Kroatiens aus der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien und unmittelbar nach der Schlacht um Vukovar und der folgenden Okkupation Vukovars durch paramilitärische serbische Freischärlergruppen stattfand.
Am 20. November 1991 nahmen die regulären Truppen der Jugoslawischen Volksarmee 400 Patienten aus dem Krankenhaus von Vukovar gefangen. 200 Personen wurden am 20. November 1991 von Angehörigen der Jugoslawischen Volksarmee und serbischen Freischärlern ermordet und in einem Massengrab vergraben. Die drei später als verantwortlich bezeichneten Offiziere wurden 1995 vom Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag angeklagt, zwei von ihnen zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.