Eine Frau leidet an der Wahnidee, tot zu sein. Der Psychiater, der sie behandelt, will sie von dieser krankhaften Vorstellung befreien und stellt ihr die Frage: „Glauben Sie, dass eine Leiche Schmerz empfindet?“ Das könne sie sich nicht vorstellen, die entschiedene Antwort der Frau. Daraufhin nimmt der Psychiater eine Nadel und sticht der Patientin in den Arm. Diese schreit laut auf. Der Psychiater triumphierend: „Sehen Sie, was sagen Sie jetzt?“ Die Patientin. „Ich muss zugeben, Sie haben recht, Leichen können doch Schmerz empfinden!“
Ist das nicht sonderbar: Bevor die Frau von ihrem Wahn, tot zu sein, abgeht, verabschiedet sie sich von der Überzeugung, dass eine Leiche keinen Schmerz empfinden kann. Und nicht nur bei krankhaften Wahnvorstellungen ist es oft so: Wenn ein Mensch sich etwas einbildet, so prallen oft offensichtliche Tatsachen, die klar den Irrtum aufzeigen, an dieser Überzeugung ab. So nach dem Satz, der einmal auf einer amerikanischen Universität zu lesen war: „Ich habe mir meine Meinung gebildet, stört mich nicht mit Tatsachen!“
Leben wir heute nicht oft in solchen Scheinwelten, aus denen wir Teile der Wirklichkeit ausblenden? Auch wenn es klare Hinweise darauf gibt, dass etwas falsch läuft, wir wollen diese oft nicht wahrnehmen. Solches gilt etwa in Bezug auf unsere Umwelt und ihre Zerstörung, auf politische Entwicklungen, auch in Bezug auf die Kirche. Das gilt aber oft auch für unser persönliches Leben. Um aber etwas zum Besseren zu ändern, muss man der Wirklichkeit ins Auge schauen und darf sich nicht in den Schein des Teiles, den man wahrnehmen will, flüchten. Um nicht vom bequem scheinenden Leben Abschied nehmen zu müssen, verstecken wir uns dagegen hinter falschen Anschauungen und fühlen uns in den falschen Annahmen sicher.
Im Evangelium vom reichen Prasser und dem armen Lazarus lenkt Jesus unseren Blick weg von einem Teil des Lebens auf die ganze Wirklichkeit, die auch die nach dem Tod beinhaltet. Der reiche Prasser sieht nur den einen Teil, ein Leben im Genuss, sieht nicht den armen Lazarus, den er vor der Türe liegen lässt. Er will ihn gar nicht sehen. Er will nur den derzeitigen Teil seines Lebens sehen, macht sich blind für die Zukunft. Jesus zeigt uns: Die Zukunft, das Leben nach dem Tod und die anderen sind Teil der Wirklichkeit unseres Lebens, die wir nicht ausblenden können und dürfen. Auch wenn wir dies nicht wahrnehmen wollen, die ganze Wirklichkeit holt uns einmal ein. Und dann könnte es zu spät sein.
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