Ein Treffen mit einer anderen Person, sei es angenehm oder unangenehm, wird zumindest zu Beginn sicherlich von Unsicherheit begleitet. Warum ist das so? Obwohl wir als Menschen für die Gemeinschaft geschaffen sind, erfordert eine Begegnung eine gewisse „Erweiterung“ unseres Herzens, die Bereitschaft, uns einem anderen Wesen zu öffnen. Aus diesem Grund ist es schwierig, neue Leute kennenzulernen, aber mit der Erfahrung wird es zur Normalität, welche nicht mehr von unguten Gefühlen geleitet wird.
Eine ähnliche Erfahrung erlebte Martin von Tours, geboren im Jahr 316 in Savaria, im heutigen Szombathely (Steinamanger/Sambotel), ein Soldat, der, bevor er ein Heiliger wurde, zulassen musste, sein „Selbst“ durch die Begegnung mit Jesus in der Gestalt eines armen Mannes zu erweitern. Laut verschiedener Sichtweisen und Heiligenlegenden zieht es Jesus vor, sich in andere Menschen unterschiedlichen Alters und Standes„hineinzuversetzen“, die uns auffordern in unseren Fußstapfen stehen zu bleiben. Warum macht er das? Um unsere Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, um unsere Neugier im positiven Sinne zu wecken, um uns an sich zu ziehen. Diese Treffen haben immer einen unerwartet guten Ausgang, eine Art Gnadensprung im Leben dieser Person, dann wenn diese großherzig und bereitwillig darauf antwortet. Meistens ist sich der Protagonist (Gläubiger, Heiliger) nicht sicher oder weiß nicht, wen er trifft, aber irgendetwas in dieser Begegnung ist ungewöhnlich, bedeutsam.
So erging es auch Martin, als er im Winter auf seinem Weg einen nackten armen Mann vorfand. Er wusste nicht, wie er ihm helfen sollte, und teilte seinen Militärumhang, damit der arme Mann sich bedecken und vor Kälte schützen konnte. Wahrscheinlich hat etwas in der Art, wie Martin es tat, indem er Wärme und Mitgefühl zum Ausdruck brachte, Jesus dazu veranlasst, sich ihm später in einem Traum deutlich zu offenbaren. In der Nacht nach diesem Treffen sah Martin nämlich Jesus im Traum, gekleidet in denselben Umhang, den er teilte und den er dem Armen gab. Ob es eine der legendären verborgenen, unerwarteten Arten Jesu ist, Menschen zu begegnen, „verkleidet“ als eine Person, die Aufmerksamkeit erregt, oder ob es um die einfache Erkenntnis geht, dass „Gott alles sieht“, also unsere Beziehung zu anderen wahrnimmt, die Botschaft ist dieselbe. Jesus wollte Martin näherkommen.
Als Martin Jesus im Traum sah, eingehüllt in den geteilten Umhang, dachte er plötzlich, dass dies für den König der gesamten Schöpfung nicht genug sei. Nicht wegen der Größe des Umhangs, sondern wegen dem, was dieses Bild sagt: Ich werde annehmen, was du mir gibst, egal wie groß dein Glaube und wie weit deine Liebe ist. Aber ich hoffe auf alles.
Wenn wir jemanden gerne haben, möchten wir, dass er uns von Zeit zu Zeit etwas schenkt, nicht so sehr materiell wertvoll, sondern eher ein Zeichen der Aufmerksamkeit, eine Erinnerung daran, dass wir uns getroffen haben. Es ist nie nur eine schöne Erinnerung, sondern eine lebendige Erinnerung an den Moment, in dem die Liebe eine materielle Form annahm. Es kann jede Art von Dienst sein, ein mitfühlendes Ohr und ein gutes Wort, Zeit, die wir gemeinsam verbracht haben, eine Umarmung. Oftmals scheinen sie miteinander verflochten zu sein, was das Treffen noch vollkommener macht. Wenn wir genauer hinschauen, sind die fünf Arten, wie wir unsere Liebe zeigen, im Sakrament der Eucharistie vollständig präsent, aber das ist anderes Thema.
Martin hatte nach diesem Traum den Wunsch, Priester zu werden, später wurde er dann auch Bischof, obwohl er einer anderen Legende zufolge dies nicht wollte, sondern sich im Gänsestall, zwischen den Gänsen, versteckte, damit man ihn nicht fände. Die Menschen hatten ihn gerne, sie wünschten, dass er ihr Hirte sei. Ob es sich dabei um echte oder metaphorische Gänse handelte, zu denen Martin fliehen wollte, können Sie selbst beurteilen.
Mit den Heiligen werden oft Szenarien in Verbindung gebracht, die für uns ein bisschen wie Märchen aussehen können, aber es scheint mir, dass es nicht darum geht, die buchstäbliche Realität dieser Ereignisse in Frage zu stellen, sondern vielmehr um ihre Botschaft, die unter der Oberfläche unserer anfänglichen Überraschung darüber liegt, was wir gehört (oder gesehen) haben. Gott verlangt von uns, dass wir ein wenig nachdenken. Über ihn, natürlich.
Der Glaube braucht „Momente des Umbruchs / der Entscheidung“, um reifer und ernsthafter zu werden. Martin, obwohl er zum Christentum konvertiert war, musste seinerseits sein Herz bewegen, damit sein Glaube seinen Lebensweg bis zum Ende bestimmen konnte.
Derselbe Sprung erwartet auch uns, immer im Bild des Armen, gelegentlich in Geschichten und jeden Tag im Sakrament der Eucharistie. Es ist nur notwendig, ein wachsames Herz zu haben.
Foto: Fanz Josef Rupprecht