Die Geragogik befasst sich in der Praxis und in der Theorie mit der Bildung von alternden Menschen. Erstens bietet sie Bildungsmöglichkeiten und -chancen für alternde Menschen Zweite Aufgabe der Geragogik ist die Aus- und Weiterbildung von Personen, die mit älteren Menschen arbeiten. Drittes Gebiet ist die wissenschaftliche Erforschung von Fragen über das Alter.
Bildung und Lernen im Prozess des Alterns aus theoretischer Perspektive
1. Zum Verhältnis von Lernen und Bildung im Alter
Um den Gegenstandsbereich von Lernen und Bildung im Alter zu umschreiben, werden in der deutschsprachigen Literatur unterschiedliche Begrifflichkeiten benutzt, wie zum Beispiel „Lernen im Alter“, „lebensbegleitendes“ oder auch „lebenslanges Lernen“ auf der einen Seite, aber auch „Bildungsarbeit mit alten Menschen“, „Bildung im Alter“ auf der anderen Seite. Die inhaltliche Nähe zur Gerontologie zeigt sich durch den inzwischen vor allem in Fachdiskursen verwendeten Terminus „Geragogik“, womit vor allem die Theorie und Praxis der Altersbildung aus bildungswissenschaftlicher Perspektive beschrieben wird. Bisher gibt es aber in der einschlägigen Literatur kein einheitliches Verständnis der zentralen Begriffe „Lernen“ und „Bildung“. Sie werden zum Teil parallel, zum Teil synonym gebraucht. Manche Autoren bezeichnen als ‚Lernen’, was andere als ‚Bildung’ bezeichnen, so dass sich deutliche Unschärfen und Überschneidungen zeigen Bubolz-Lutz u.a. 2010:14ff.).
Es besteht aber auf jeden Fall Übereinkunft darin, dass Lernen ein grundlegender Lebensprozess des Menschen ist, der ihm die Anpassung an unterschiedliche und sich immer wieder verändernde Lebensbedingungen und –umstände ermöglicht und hilfreich ist bei deren aktiver Gestaltung. Unbestreitbar ist auch, dass die Fähigkeit zu lernen die allgemeine Grundlage für Bildung darstellt.
Bildung ist das konstitutive Element der institutionellen Angebote, die insgesamt als geschichtlich gewachsenes Gefüge das Bildungswesen ausmachen (vgl. Gukenbiehl 1998: 86). In funktionalistischer Perspektive meint Bildung ein Instrument der Sozialisation und gesellschaftlichen Integration, wie auch wertender sozialer Differenzierung und Distinktion (vgl. Barz 2006; Gukenbiehl 1998: 86). Bildung wird aber auch als postulativer Wertbegriff verstanden, der durch historisch wechselnde Leitbilder, Bildungsideale und -ziele inhaltlich bestimmt wird (Gukenbiehl 1998: 85; Kolland 2005: 13). Eine immer noch zeitgemäße Bestimmung von Bildung, im Hinblick auf ein Leitbild und Bildungsziel, ist die des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen aus den 60er Jahren: Gebildet wird demnach jeder, der „in der ständigen Bemühung lebt, sich selbst, die Gesellschaft und die Welt zu verstehen und diesem Verständnis gemäß zu handeln“ (Deutscher Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen 1960/61: 404).
Für die Bildung im Alter ergeben sich aus diesem Verständnis von Bildung sehr unterschiedliche Ansätze und Zugangsweisen. Bildung umfasst demzufolge also weitaus mehr, als Angebote der expliziten Bildungsanbieter für ältere und alte Menschen, wie Volkshochschulen, Seniorenakademien, kirchliche Einrichtungen und ähnliche Institutionen (vgl. Sommer et al. 2004). Spannend sind darüber hinaus vor allem die Bildungsorte und Lernsettings, die außerhalb von Bildungsinstitutionen angesiedelt und in lebensweltlichen Bezügen verortet sind. Bildung im Alter rückt damit ganz nahe an die Lebenswelt älterer und alter Menschen heran und erfasst ein weit größeres Spektrum von möglichen Bildungsanliegen als dies traditionelle Bildungseinrichtungen vermögen (Kricheldorff 2010).
2. Geragogik als Theorie und Praxis der Altersbildung
Die Geragogik als junge Wissenschaftsdisziplin stellt die Fragen nach den spezifischen Anliegen und Zielen von Bildung im Alter neu und erfährt damit in gerontologischen und bildungswissenschaftlichen Fachdebatten eine steigende Aufmerksamkeit und Resonanz.
„Entsprechend der gesamten Aufwertung von Bildung im Alter erfährt die Geragogik als Wissenschaft vom Lernen im Alter, für und über das Alter und das Altern zunehmend Anerkennung – sowohl innerhalb der sich weiter ausdifferenzierenden Gerontologie als auch seitens politischer Entscheidungsträger.“ (Köster/Schramek 2005: 232)
In der geragogischen Diskussion um ein angemessenes Verständnis von Altersbildung sind die Bestimmungsmerkmale von Bildung vielfältig thematisiert. Veelken (2003) etwa nennt als Aufgabe von Altersbildung die Entfaltung von Identität und die Auseinandersetzung mit altersspezifischen Entwicklungsaufgaben in einer konkret-historischen Kultur und Gesellschaft. Es wird ein ganzheitlicher Bildungsbegriff eingeführt, der nicht funktionalistisch ist und deshalb für die gesamte Altersphase, also auch für das hohe Alter, anwendbar ist (Bubolz-Lutz 2000). Kade (2009) benennt als notwendige Orientierungen: Kompetenzen zur Alltagsbewältigung, Handlungs- und Sozialkompetenzen, aber auch kreative und biografische Kompetenzen. Es geht dabei um Selbstreflexivität, (Selbst-)Erleben und um (Selbst-)Ausdruck. Im Kontext des modernitätstheoretischen Diskurses ist die reflexive Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie und Lebensgestaltung vielfach als Bildungsaufgabe identifiziert worden. Die Reflexion lebensgeschichtlicher Erfahrungen, als wichtige Orientierungshilfe für die bewusste Gestaltung des weiteren Lebens, schließt auch die Entscheidung mit ein, welche Lern- und Lebensziele im Alter verwirklicht werden sollen (vgl. Kricheldorff 2005a, b). Zentrale geragogische Anliegen sind auch die Entwicklung neuer Lernsettings und Lernformen, in sehr unterschiedlichen Praxisfeldern.
Der Blick auf die Entwicklung von Leitbildern und Konzeptionen zu Bildung und Lernen im Alter in den letzten 50 Jahren macht deutlich (Bubolz-Lutz u.a. 2010: 37ff.) wie sich – in enger Verbindung mit den jeweils gängigen Vorstellungen vom Alter und Altern – auch die Ansatzpunkte und Begründungszusammenhänge einer wissenschaftlich fundierten Geragogik verändert haben. Deutlich wird, dass eine Verbindung von Theorie und Praxis oftmals nicht gegeben war und zum Teil auch heute noch nicht gegeben ist: So wird einerseits konstatiert, die Praxis der Altersbildung bleibe deutlich hinter der Konzeptentwicklung zurück. Andererseits wird argumentiert, in den 90er Jahren sei die Entwicklung einer von den Älteren selbst organisierten Praxis der Theorie weit vorausgeeilt. Mit dem umfassenderen Begriff der Altersbildung wird eine Öffnung dokumentiert: Altersbildung soll sich nicht nur an die ältere Generation wenden, sondern als eine Bildungsarbeit zu Alternsthemen über den Lebenslauf hinweg verstanden werden (Bubolz-Lutz u.a. 2010: 37ff.; vgl. dazu auch Petzold & Bubolz, 1976; Kade, 1994). Damit sind auch „Bildung im Alter“ und „intergenerationelles Lernen“ keine Gegensätze mehr – das Lernen der Älteren unter sich (in altershomogenen Gruppen) und das gemeinsame Lernen von Alt und Jung (in altersheterogenen Gruppen) können als verschiedene Optionen einer Altersbildung gelten. Die Geragogik als wissenschaftliche Disziplin schafft dafür den konzeptionellen Rahmen, die Konzeptentwicklung der Geragogik differenziert sich aus.
Während zu Ende der neunziger Jahre die öffentliche Aufmerksamkeit (und auch die öffentliche Förderung von Forschungs- und Entwicklungsprojekten) auf die „Jungen Alten“ gerichtet ist, fordern zunehmend geragogisch ausgerichtete Wissenschaftler eine kritische Auseinandersetzung mit diesem einseitig positiv akzentuierten Altersbild ein. Durch sie wird eine „realistische Wende“ hinsichtlich einer ausdifferenzierten Sicht auf die verschiedenen Lebenslagen im Alter eingeleitet. Die Betonung liegt darauf, dass sich die Politik nicht nur der Bildung der jungen und agilen Älteren widmen und hier Initiativen im Bereich von Kulturarbeit und Freizeitgestaltung fördern solle. Auch diejenigen sollten durch spezifische Maßnahmen zur Teilnahme an Bildung ermutigt werden, die sich aufgrund von gesundheitlichen Einbußen, Behinderungen oder mangelnder Mobilität nicht mehr an öffentlicher Bildung beteiligen können. Es werden Formen zugehender Bildungsarbeit erprobt und erforscht (vgl. Karl, 1992) ebenso wie Formen einer Bildungsarbeit innerhalb von Institutionen der Altenhilfe und Altenpflege. Mit diesen Entwicklungen parallel verläuft eine konzeptionelle didaktische Wende, denn die Beobachtungen in selbstorganisierten Bildungssettings von Älteren lenken die Aufmerksamkeit auf eine im Bereich der Seniorenbildung typische veränderte Rollenverteilung. In den Veranstaltungen mit Seminarcharakter sind Ältere nicht nur als Lernende, sondern auch Lehrende aktiv.
Etwa ab der Jahrtausendwende erreicht die öffentliche Diskussion um den demografischen Wandel eine Zuspitzung. Als Gegengewicht zu den Horrorszenarien eines „Kriegs der Generationen“ oder eines kaum mehr zu finanzierenden „Fürsorgestaates“ entwerfen Gerontologie und Politik eine Programmatik, die auf die Potenziale des Alters abhebt. Die oftmals früh von der Arbeit freigesetzten Älteren sollen motiviert und ermutigt werden, ihre ungenutzten Potenziale zu entdecken und in neue Tätigkeitsfelder einzubringen. Aber auch die älteren Arbeitnehmer werden als Zielgruppe für Bildungsbemühungen genannt: durch berufliche Bildung soll ihre Beschäftigungsfähigkeit gefördert werden. Die Praxis der Bildungsangebote führt an freiwilliges, bürgerschaftliches Engagement heran, bereitet darauf vor und begleitet es. Parallel zu den Entwicklungen der Didaktik der Erwachsenenbildung erfahren auch Konzeptionen der Geragogik eine Wende: Es interessieren nicht mehr vorrangig die Prozesse des Lehrens, sondern des Lernens und es wird versucht, den Lernprozess aus der Perspektive des Lernenden zu beschreiben. Adaptiert werden konstruktivistische Vorstellungen zum Lernen: der Mensch als ein sich selbst steuerndes System, der nicht lernt, was ihm angeboten wird, sondern der selbst entscheidet, was ihn interessiert (vgl. dazu Siebert, 2006b). Heute stehen deshalb die Lernenden und ihre inneren Selbststeuerungsprozesse sowie die Lernkontexte im Zentrum der Forschung. So interessiert zum Beispiel, wie Lernumgebungen aussehen müssen, um zum Lernen im Alter und für das Alter zu motivieren? Weiter sind Fragestellungen von Interesse, die Institutionen und auch Kommunen/Gemeinden in den Blick nehmen und nach ihrer Rolle bei der Initiierung von Lernprozesse rund ums Alter fragen und wie diese den Dialog der Generationen fördern.
3. Informelle Lernorte
Mittlerweile gibt es aber auch vielfältige Befunde dafür, dass Lernen im Alter auch außerhalb definierter Bildungssettings stattfindet – ein Fakt der lange Zeit zu wenig im Blick der einschlägigen Fachdebatten war. Im Alltag, in der Familie, ganz allgemein in der Lebenswelt, liegen ebenfalls vielfältige Lernorte, die oft erst auf den zweiten Blick als solche zu erkennen sind. Mit der Absicht ein ganz bestimmtes und für die jeweilige Person oder Situation relevantes Wissen oder Können zu erwerben, „nutzen Lerner vielfältige Ressourcen – Zeitschriften, Freunde, Verkäufer, Handwerker, Gebrauchsanweisungen, Versuch-und-Irrtum, aber durchaus auch (teil-)institutionalisierte Lernangebote durch Baumärkte, Bibliotheken oder Bildungswerke – komplett oder in Stücken: man bleibt weg, wenn man das hat, was man wollte. Absicht ist weniger ein Zertifikat mit seinem Tauschwert, sondern der Gebrauchswert oder „weil es eben interessant ist“. Der Lerner „komponiert“ sich aus diesen Ressourcen seine Lernformen und Lernwege und entscheidet selbst über Inhalte und Ziele.“ (Reischmann 2002:163).
Diese Form des Lernens, das Reischmann als intentional-autodidaktisches, selbstgesteuertes Lernen bezeichnet, wird vor allem von den älteren Menschen bevorzugt, die wenig Zugang zu traditionellen Bildungseinrichtungen haben. Sie nutzen eher die Alltagsressourcen, um mit neuen Herausforderungen oder Veränderungen in ihrem Leben fertig zu werden. Auf dieses Phänomen verweist auch Findsen (2006) von der University of Glasgow. Er benennt für das non-formale und informelle Lernen älterer Erwachsener – damit bezeichnet er Menschen, die älter sind als 55 Jahre – drei soziale Institutionen, in denen vorrangig gelernt wird: die Familie, die Kirche und der Arbeitsplatz. In diesem Kontext verweist er auch auf ökonomische Faktoren, den soziodemografischen Status, Genderaspekte und ethnische Hintergründe. die wirksam sind und dazu beitragen, ob eher informelle Lernorte bevorzugt werden.
Dass ein großer Teil des Lernens Älterer außerhalb von Bildungseinrichtungen erfolgt ist also inzwischen unstrittig. Allerdings werden auch beim informellen Lernen verschiedene Formen und Grade von Reflexivität und institutioneller Einbettung unterschieden.
Das inzidentelle beiläufige Lernen, das Reischmann (2004) auch das „Lernen en passant“ nennt, geschieht eher unbewusst und ungeplant, ausgelöst durch Lernanreize, die in der Begegnung mit Personen und der Bewältigung neuer Situationen liegen..
In Abgrenzung davon findet das teil-intentionale Lernen im Rahmen von Handlungen statt, die nicht des Lernens wegen ausgeführt werden, die aber Lernen auslösen oder erfordern. Beispiele dafür sind eine Reise, ein Konzertbesuch, ein Hobby oder ein neue Aufgabe, für die man sich explizit entscheidet. Kennzeichen ist also das fehlende Lernziel am Ausgangspunkt, obwohl später oft noch genau erinnert werden kann, bei welcher Gelegenheit das Wissen und Können erworben wurde.
Durch äußere Auslöser oder „kritische Lebensereignisse“, die nicht geplant oder erwartet wurden, verbunden mit heftigen emotionalen Reaktionen (z.B. Schock, Freude), ist das nicht-intentionale Lernen geprägt. Lernen findet dabei in der Bearbeitung oder Bewältigung statt. Die Auslösesituation bleibt identifizierbar in Erinnerung (Reischmann 2004).
In der EdAge-Studie (Tippelt u.a. 2009) werden diese Formen informellen Lernens im Alltag in den Blick genommen. Die Zahlen zeigen einerseits, wie verbreitet Informelles Lernen im Alltag ist. Dieser ist also ein wichtiger Lernort. Andererseits zeigt sich auch deutlich, dass Internet (48%), Ehrenamt (43%) und Nebenjobs (54%) für knapp oder etwas mehr als die Hälfte der Älteren noch keine Orte für informelles Lernen sind, während die jeweils andere Hälfte davon deutlich profitiert. Diese Formen des informellen Lernens stellen die Eigenverantwortung und Selbststeuerung der lernenden Person in den Vordergrund. (vgl. auch Siebert 2001:19f.). Zu fragen ist, ob ökonomische Faktoren, der soziodemografische Status, Genderaspekte und ethnisch-kulturelle Hintergründe, so wie Findsen (2006) es beschreibt, dafür ausschlaggebend sind, dass sich hier die befragte Altersgruppe deutlich teilt in Nutzer und Nichtnutzer. Bei keiner der anderen nachgefragten informellen Lerngelegenheiten ist das so deutlich ausgeprägt. Die EdAge-Studie kann darauf keine eindeutigen Antworten liefern. Gleichzeitig zeigt sich, dass der Lerngewinn durch Internet oder freiwilliges Engagement deutlich geringer eingeschätzt wird als der Austausch mit Familie, Partner und den „Peers“, also dem sozialen Umfeld. Genutzt werden für das informelle Lernen ganz unterschiedliche Orte, Angebote und Medien, sowohl im Sinne des inzidentellen beiläufigen Lernens, aber auch als teil-intentionales Lernen.
Für die Geragogik ergibt sich daraus ein Auftrag, der mit dem Begriff des Lifewide Learning beschrieben werden kann. Dieses bezieht
- informelles und selbstorganisiertes Lernen
- informelles Lernen in formalen Kontexten und
- inzidentelles Lernen oder Lernen „en passant“
mit ein. Es geht darum, in lebensweltlichen Kontexten zugehende und an den Bedürfnissen der potenziellen Nutzer orientierte Bildungsgelegenheiten und –orte zu schaffen, die eine Reflexivität jenseits der traditionellen Organisationen ermöglichen, die vordergründig mit Bildung verbunden werden. Sonst besteht unter Umständen die Gefahr, dass informelle Lernorte zu bloßen Orten der Wissensgenerierung verkümmern, ohne den sozialen und integrativen Aspekt von Bildung in sich zu tragen. Aber Altersbildung ist mehr als Wissenserwerb und muss deshalb auch die informellen Lernorte stärker mit in den Blick nehmen.
4. Künftige Entwicklungen in der Geragogik
In Zukunft wird die Lern- und Bildungsbereitschaft und -fähigkeit eine basale Voraussetzung für die sich rasch verändernde Wissensgesellschaft darstellen. Damit ergibt sich die Notwendigkeit der Entwicklung eines integrierten Gesamtbildungssystems, dessen Segmente – Kindertagesstätte und Schule, berufliche Bildung und Hochschule/ Universität im Bereich der formalen Bildung und Weiterbildungseinrichtungen, Volkshochschulen, Mehrgenerationenhäuser, Seniorenakademien, Altentagesstätten, Familienbildungszentren im Bereich der non-formalen Bildung – sich miteinander verzahnen und miteinander stärker als bisher kooperieren müssen. Der Europäische Qualifikationsrahmen (EQR) weist schon in diese Richtung. Innerhalb dieses „Gestaltwandels“ im gesamten Bildungssektor hat auch die Altersbildung ihren Platz neu zu bestimmen. An Flexibilität und an ein Nischendasein gewöhnt, wird es ihr leichter fallen als den etablierten Organisationen der Erwachsenen- und Weiterbildung, sich mit innovativen Organisationsformen und Lernarrangements so zu platzieren, dass ihre Erfahrungen – etwa mit Formen des selbstbestimmten Lernens und der selbstorganisierten Bildung – für andere Systeme anregend wirken. Auch kann der Einbezug von bestehenden Vernetzungen im Bereich der Altenhilfe und -pflege in eine unter Bildungsgesichtspunkten auszubauende Netzwerkstruktur im Sozialraum für beide Seiten anregend wirken.
Die Praxis der Altersbildung wird sich verstärkt von einer Angebots- zu einer Nachfragestruktur hin entwickeln müssen. Insgesamt zeichnen sich folgende weitere Entwicklungen ab:
Nachfrageorientierung wird als neues Konzept der (Bildungs-)Institutionen an Bedeutung gewinnen – auch für Ältere, die in der Zukunft aufgrund ihrer Bildungsbiografie mehr Ansprüche an Bildung umsetzen.
Die Bemühungen, mit Hilfe neuer Technologie die Lebens- und Versorgungsqualität im Alter zu verbessern, setzen Lernprozesse bei den älteren Anwendern voraus – hier wird verstärkt geragogische Forschung notwendig sein.
Kommunen und Länder müssen zunehmend die Notwendigkeit begreifen, auch in das Lernen der älteren Bevölkerung zu investieren und intergenerative Bildungsprozesse anzustoßen, die ein gegenseitiges Verständnis und damit das konstruktive Zusammenleben der Generationen fördern und unterstützen.
Die Nachfrage nach einem qualifizierten, durch Bildung und kollegiale Beratung begleiteten bürgerschaftlichen Engagement im Alter wird zunehmen – und zwar auf Seiten der Engagierten wie auch der Nutznießer (vgl. Kade, 2007:60).
Die Altersbildung hat sich der Diskussion um die weitere Qualitätsentwicklung und Umsetzung der Qualitätsziele zu stellen. Der inzwischen begonnene Prozess der Umsetzung von konkreten, wissenschaftlich evaluierten Qualitätszielen in der gemeinwesenorientierten und kommunalen Altersbildung ist auf breiter Ebene fortzuführen.
Vernetzte Verbünde von Universitäten, Fachhochschulen und unabhängigen Instituten werden entwickelt werden müssen, um praxisnah geeignete Bildungszugänge für spezielle Personengruppen in der nachberuflichen Lebensphase zu erproben und die Bedingungen zu erforschen (Bubolz-Lutz u.a. 2010: 47).
Somit erweitert sich das Verständnis von Geragogik als Theorie und Praxis der Altersbildung hin zu einer wissenschaftlichen Disziplin, die die Möglichkeiten und Grenzen von Bildung in einer alternden Gesellschaft zum Forschungs- und Entwicklungsgegenstand macht. Bildung wird zu einem Querschnittsthema werden, mit einer Relevanz nicht nur für die gerade älteren Generationen, sondern für alle Altersstufen. Die Baby-Boomer-Generation, die langsam „in die Jahre kommt“, wird sich zunehmend bewusst, dass sie sich auf ihre Langlebigkeit vorbereiten muss und auf die Gestaltung eines Lebens, in dem – aufgrund der Alterung der Gesellschaft – sie es in der Zukunft eher mit gleichaltrigen Älteren als mit Jüngeren zu tun hat. Stärker als zuvor werden Bildung und Engagement miteinander verknüpft sein und letztlich nicht nur zum Erhalt von Lebensqualität, sondern auch zur Daseinsvorsorge für das Alter dienen. Politik und Gesellschaft sind also gefordert, für die Altersbildung ermöglichende Bedingungen zu schaffen, denn es gibt eindeutige Befunde dafür, dass dies eine Investition in die Zukunft darstellt, die sich später in multiplizierter Form lohnt. Das stärkste Argument in diesem Kontext lautet: Wer zufrieden altern und sein Leben in sozialer Verbundenheit gestalten kann, erlebt eine subjektiv bessere Lebensqualität und Gesundheit und ist weniger anfällig für Krankheit und Pflegebedürftigkeit. Bildung schafft dafür die Bedingungen.
Prof. Dr. Cornelia Kricheldorff
Soziale Gerontologie und Soziale Arbeit im Gesundheitswesen
Prorektorin/ Institutsleiterin IAF
Katholische Hochschule Freiburg i. Br.