
Zwei Religionen - ein Fundament
Die Juden haben mit uns Christen zwar den gemeinsamen Grund ihrer Hoffnung in dem einen Gott. Sie glauben aber, dass der Messias erst in der Endzeit kommen wird. Für uns Christen ist in Jesus von Nazaret der in den Heiligen Schriften des Ersten Bundes verheißene Messias bereits gekommen, das Reich Gottes in Jesus bereits angebrochen.
Wie kam es zur Judenfeindschaft?
Zur Zeit Jesu gab es mehrere Gruppen im Judentum, die einander mit scharfen Worten bekämpften. So ist auch die Polemik Jesu gegen die Pharisäer zu verstehen. Jesus verkündete das Kommen des Gottesreiches, von dem die meisten seiner jüdischen Zeitgenossen eine andere Vorstellung hatten: die politische Unabhängigkeit von den Römern. Diese innerjüdischen Spannungen übertrugen sich nach dem Tod Jesu auf alle Juden, die nicht an Jesus glaubten. Verstärkt wurde dies durch den schon vorhandenen römischen und griechischen Antijudaismus. So wurden Textstellen in den Evangelien wie das Gleichnis vom königlichen Hochzeitsmahl (Mt 22, 1-14) als Vorwand benutzt, die Juden wegen ihres Unglaubens an die Messiaswürde Jesu „zur ewigen Knechtschaft“ gegenüber der Kirche zu verpflichten, was in weiterer Folge von den christlichen Herrschern vor allem wirtschaftlich weidlich ausgenützt wurde. Die vielen schrecklichen Verfolgungen und Vertreibungen jüdischer Gemeinden fanden somit durch die Jahrhunderte eine religiöse Rechtfertigung. Erst die unermesslichen Gräuel des Holocaust führten eine Wende im Verhältnis zwischen Christentum und Judentum herbei.
Was können wir ändern?
Wer etwas oberflächlich und ohne Hintergrundwissen die Karwoche mitfeiert, kann den Eindruck gewinnen, dass die Passionsgeschichten, vor allem das Johannesevangelium, die Juden sehr verallgemeinernd als die Gegner Jesu darstellen. Dazu muss man wissen, dass zur Zeit der Abfassung dieser Texte das Verhältnis zwischen Christen und Juden sehr angespannt war. Die Christen wurden wegen ihres Glaubens an Jesus Christus immer mehr aus den Synagogen hinausgedrängt und standen somit nicht mehr unter dem Schutz, den der jüdische Glaube im Römischen Reich genoss. Für die Römer war der Glaube der frühen Christen eine nicht erlaubte neue Sekte, die es zu verbieten und verfolgen galt. Die ökumenische Bibelübersetzung verwendet deshalb statt der Bezeichnung „die Juden“ die Formulierung „die führenden Priester“, was auch mehr den Tatsachen entspricht, da die eigentlichen Gegner Jesu die Sadduzäer im Jüdischen Synedrium waren.
Diese Formulierung sollte sich in unserer Karwochenliturgie durchsetzen. Ein Kind rief einmal während der Osternachtsfeier: „Die armen Pferde!“, als es die Worte aus der Lesung vom Auszug der Israeliten aus Ägypten hörte (Exodus 14).Wie es in diesem Text nicht primär um die Pferde geht, sondern um den Beistand Jahwes zu seinem auserwählten Volk, so stehen auch in den Passionstexten andere Aussagen im Vordergrund. Mit erklärenden Worten kann man auf diese Kernaussage hinweisen. Tatsache ist, dass viel mehr Juden Anhänger und Freunde Jesu waren, als dessen Gegner (vgl. Joh. 11, 45). Schließlich waren alle Apostel Juden, seine ganze Familie und natürlich auch Jesus selbst.
Gemeinsame Kinder Abrahams
Der Jude Jesus
Das Leben und Wirken Jesu ist ohne Wissen um sein Volk und dessen Glaube nicht zu verstehen. Mehr noch: Das Christentum ist ohne Judentum nicht denkbar. Gebet und Liturgie der Kirche sind von der jüdischen Bibel und den Traditionen des jüdischen Volkes geprägt. Jahrhundertelang wurde das Jude-Sein Jesu vergessen. Dass Jesus nicht Christ, sondern Jude war, hat sich erst in den letzten Jahre ins Bewusstsein vieler Christen zu setzen begonnen. Durch die Weigerung der Juden, Christus als Messias anzuerkennen, hat sich eine vor allem für die jüdische Seite fatale Entfremdung in Gang gesetzt. Heute sind wir von einer „Theologie der Verachtung“ zu einer „Theologie der Wertschätzung“ gekommen. Erst die Sichtweise des Zweiten Vatikanischen Konzils hat das Jude-Sein Jesu wieder freigelegt. Und hier liegt auch der Schlüssel für die Ökumene zwischen Christen und Juden. Juden können Jesus als Bruder und großen Propheten entdecken, Christen können ihn als torafrommen Lehrer würdigen. Eine Neubesinnung über das Christ-Sein, dem die Nähe zum Judentum kostbar ist, ist in Gang gekommen.
Zur Wurzel bekennen
Christlich-Jüdischer Dialog gehört zum Selbstverständnis für Christen, er ist elementar für die Identität der Kirchen. Jede Katechese redet von Juden. Jede Predigt interpretiert jüdische Texte. Der „Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit“ hat für den 17. Jänner einen Gottesdienstvorschlag ausgearbeitet. Es geht dabei nicht um eine Feier mit folkloristischen jüdischen Elementen, sondern um das Kennenlernen des Judentums. Die Betonung soll auf ein fundamental neues Selbstverständnis der Kirchen, das sich aus seiner jüdischen Quelle nährt, gelegt werden. Und Vorsicht ist geboten: Juden empfinden es als Vereinnahmung, wenn Christen aus falsch verstandener Begeisterung jüdische Riten und Symbole kopieren. Das gleiche gilt für Persönlichkeiten wie Edith Stein, deren Seligsprechung als „christliche Märtyrerin“ von jüdischer Seite auf wenig Verständnis stieß, ist sie doch wegen ihrer jüdischen Abstammung zu Tode gekommen.
Verpflichtende Tradition
Die Katholiken des Burgenlandes haben hier eine besondere Verpflichtung aus ihrer Geschichte heraus. Jahrhundertelang sicherten Esterházysche Privilegien die Entwicklung jüdischer Gemeinden in unserem Land. Es konnten sich geistige jüdische Zentren bilden: die Scheva Kehillot, die „Sieben heiligen Gemeinden“, die weltberühmten Rabbinerschulen von Asch (Eisenstadt) und - als weltweite Einzigartigkeit – eine selbständige politische Gemeinde: Eisenstadt-Unterberg, deren letzter Bürgermeister noch rechtzeitig nach New York emigrieren konnte. Erst der nationalsozialistische Terror setzte all dem ein jähes Ende. Heute haben wir auf Eisenstädter Boden das einzige „Österreichische Jüdische Museum“, zwanzig Jahre lang begegneten sich im diözesanen Bildungshaus „Haus der Begegnung“ im Rahmen einer internationalen Judaistikstudientagung Christen und Juden aus der ganzen Welt und feierten gemeinsame Synagogengottesdienste. Jüdische Friedhöfe, - letzte Zeugen einer zugrunde gerichteten Kultur, - und ehemalige Synagogen, wie in Kobersdorf oder Stadtschlaining, werden revitalisiert und gepflegt. Ein historisches Faktum ist heute beinahe in Vergessenheit geraten: Fürst Nikolaus Esterházy nahm 1905 zweihundert Juden, die vor dem großen Pogrom von Kischinjow fliehen mussten, im heutigen „Haus der Begegnung“ in Eisenstadt auf und verpflegte sie zwei Jahre lang. Ein Ort mit verpflichtender Tradition!
Dialog – Wirklichkeit oder Vision?
Wir können jüdischen Mitbürgern im Burgenland kein frohes Chanukkafest wünschen, kein gutes Rosch HaSchana, weil sie nicht mehr da sind. Von den ehemals 34 jüdischen Gemeinden Österreichs hat keine einzige in unserem Bundesland überlebt. Der Dialog mit Juden findet zwar in vielen religiös-theologischen Gesprächen und im wissenschaftlichen Austausch statt, vielfach bleibt er jedoch Vision, weil er in den christlichen Gemeinden keine oder kaum eine Rolle spielt. Umso mehr gilt es, Intoleranz und Vorurteile abzubauen. Was bei der Tolerierung „harmloser“ antisemitischer Witze beginnt, endet nicht selten in der Verharmlosung oder gar Leugnung des Holocaust. Und Kritik an der konkreten Politik des Staates Israel darf nicht mit unterschwelliger Feindseligkeit gegenüber dem Judentum vermischt werden. Als Johannes Paul II. 1986 als erster Papst eine Synagoge besuchte, sagte er: „Die jüdische Religion ist für uns nicht etwas Äußerliches, sondern gehört zum Inneren unserer Religion. Zur ihr haben wir Beziehungen wie zu sonst keiner anderen Religion. Die Juden sind unsere bevorzugten Brüder, unsere älteren Brüder.“ Der „Tag des Judentums“ soll uns Christen daran erinnern, dass Christen und Juden gemeinsame Kinder des Glaubens Abrahams sind, eine gemeinsame Heilige Schrift lesen, und die gemeinsame Sehnsucht nach dem Messias, seiner Gerechtigkeit und seinem Frieden teilen.
Bernhard Dobrowsky