Nicht das Kleid macht eine Schwester!
Anna Elvira Kurz wird 1968 im Südburgenland geboren und wächst in Eberau als jüngstes von drei Kindern auf. Sie tritt ein bei den Ursulinen in Graz und und wird dort Schuldirektorin. Seit ihrem Studium (Theologie, Anglistik und Amerikanistik) reist sie und unterhält zahlreiche Kontakte zu Ursulinen-Schulen auf der ganzen Welt, vor allem England, Frankreich, Italien, USA, Barbados, Thailand, Indonesien, Polen, Südafrika und Botswana, Slowenien. Zur Unterstützung von Kindern in Botswana gründet sie eine Projektgruppe. Privat interessiert sie sich für Musik und Literatur.
Ich bin eine gebürtige Eberauerin aus dem Bezirk Güssing und fühle mich auch nach 40 Jahren, die ich seit meiner Gymnasialzeit in Graz lebe, noch immer als Burgenländerin. Es gibt für mich nichts Schöneres, als nach Hause zu kommen, meine Familie, meine große Verwandtschaft, meine Freund:innen und die Menschen, die mir seit meiner Kindheit vertraut sind, zu treffen.
Ich darf über mein Leben im Orden erzählen. „Berufung“ ist oft ein vielzitiertes Wort. Es ist eigenartig, was sich Menschen darunter vorstellen. Ich habe oft nachgedacht, was es mit „Berufung“, auch mit meiner eigenen Berufung, auf sich hat. Was lässt mich den wenig begangenen Weg in einen Orden gehen? Es gibt dafür so viele unterschiedliche Gründe wie es Priester und Ordensleute gibt. Kein Weg ist mit einem anderen vergleichbar. Die Grundbedingung ist, dass man die Gelegenheit bekommt, Gott in seinem Leben zu erfahren. Diese Erfahrung macht man meist durch andere Menschen, denn Gott wird durch das DU, durch das Gesicht, die Stimme, die Gegenwart eines anderen Menschen erfahrbar.
Ich hatte das Glück, in meiner Familie und in meiner Pfarrgemeinde glaubende Menschen zu kennen, die mir verlässlich und froh ein Gottesbild vermittelt haben, das den Grund für mein Interesse, meine Neugierde, auch meine Sehnsucht nach dem Metaphysischen, dem Göttlichen gelegt hat. Es war ein erdiger, gesunder und einfacher Glaube, der mir vorgelebt wurde; die Gottesdienste waren geprägt vom Geist des Konzils. Der Gott der Liebe und des Lebens hat mich so fasziniert, dass ich mich schon als Kind mit dem Glauben beschäftigt habe.
Das Kreuz, mit dem meine Mutti den Brotlaib vor dem Anschneiden gesegnet hat, das Tischgebet, das Abendgebet waren selbstverständliche Zeichen der Gegenwart Gottes in unserem Haus, ebenso wie das Beten meiner Eltern. Als meine Mutter die letzten fünf Jahre ihres Lebens in Graz in einem Altersheim gelebt hat, wo ich bis auf wenige Ausnahmen jeden Nachmittag mit ihr verbringen konnte, haben wir einander, bevor ich nach Hause ging, immer mit einem Kreuzerl gegenseitig auf die Stirn gezeichnet. So war es auch am letzten Abend ihres Lebens. Ich denke, dass ich meine Berufung vor allem meiner Mutter verdanke.
Wie geht Berufung heute?
Oft frage ich mich, wie Berufung heute gehen soll, wenn viele Eltern mehr Zeit mit Handy oder mit Freizeitaktivitäten, als mit ihren Kindern verbringen. Die Werte in unserer Gesellschaft haben sich grundlegend verändert. Ich meine, dass wir Gott mehr Raum, Stille und Zeit geben müssen. Aber ich glaube auch, dass Gott immer neue Wege zu uns Menschen finden wird, auch dort, wo wir es nicht erwarten.
Mich persönlich führte mein Weg nach der Volksschule in Eberau ins Internat zu den Ursulinen nach Graz, da es in der näheren Umgebung kein Gymnasium mit Unterstufe gab. Obwohl ich überzeugt bin, dass der Grund für meinen Weg in den Orden schon früher gelegt wurde, war natürlich die Schulzeit bei den Ursulinen prägend für meinen späteren Eintritt in die Schwesterngemeinschaft. Der tägliche Kontakt mit den Schwestern, das religiös geprägte Umfeld, das sehr weltoffen war, haben mir die Entscheidung leichter gemacht. Sie ist mir nicht schwergefallen, obwohl ich eine lebenslustige junge Frau war, mit einem großen Freundeskreis und unbändiger Lust am Leben, am Reisen, am Entdecken dieser aufregenden, wunderbaren, weiten Welt. Als ich nach der Matura ins Kloster ging, hätte ich nie damit gerechnet, auch in Zukunft so viel von der Welt zu sehen. Die Ursulinen waren zwar eine weltoffene Gemeinschaft – es geht ja gar nicht anders, wenn man mit Kindern und Jugendlichen arbeitet – dennoch hatte ich die Vorstellung, dass das Ordensleben viel Verzicht bedeuten würde.
Ich studierte Theologie, Anglistik und Amerikanistik, auch ein paar Semester Französisch. Ich genoss das Leben an der Universität. Ich studierte gerne, hatte eine lustige Zeit mit den Studienkolleginnen und -kollegen, und dennoch freute ich mich, nach der Uni immer in meine Gemeinschaft zurückgehen zu können. Da wir damals insgesamt sechs junge Novizinnen waren, war es auch im Kloster mitunter recht lebhaft. Durch mein Studium verbrachte ich viel Zeit bei den Ursulinen in England, wo ich Schwestern aus der ganzen Welt kennenlernte, die – wie ich – in London waren, um ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. Nach dem Studienabschluss machte ich mein Unterrichtspraktikum am Akademischen Gymnasium in Graz, danach begann ich, im eigenen Haus zu unterrichten.
Jeder Lebensweg hat seine Umwege – so war es auch bei mir. Ich hatte mir zu viel aufgehalst: Neben dem Unterricht schrieb ich in einer Grazer Wochenzeitung, ich war theologische Assistentin bei der Katholischen Jugend, besuchte das Konservatorium für Kirchenmusik, arbeitete im Internat, machte den Stundenplan für das Gymnasium, hielt Einkehrtage, machte eine Ausbildung für geistliche Begleitung – und irgendwann wurde mir das zu viel, ich brauchte eine Auszeit. Das war für den Konvent nicht einfach. Ich wohnte einige Jahre außerhalb der Klausur, gehörte weiterhin zum Konvent und arbeitete an unserer Schule. Rückblickend bin ich sehr dankbar für diese Zeit, denn ich habe während dieser Jahre viel gelernt, bin selbstständiger geworden und habe viele Kontakte geknüpft.
Meine Gemeinschaft trägt mich
Nach meiner Rückkehr in das Kloster habe ich bald die Leitung des Gymnasiums übernommen. Ich hatte das nicht geplant, es ist mir passiert, ich wurde gebeten. Ich sagte zögerlich zu und behielt mir die Option offen, nach einigen Jahren wieder in den Unterricht zurückzugehen, falls die neue Aufgabe doch nichts für mich sein sollte. Gleichzeitig erlebte ich, dass sich viele freuten, wieder eine Schwester als Direktorin zu haben. Eine Schulgemeinschaft wird geprägt, wenn man als Ordensfrau in der Leitung ist: Unzählige Gespräche, viel Vertrauen, die Bitte, für ein Kind oder eine Familie zu beten – man ist als Direktorin auch Seelsorgerin. Die Aufgabe ist eine große Herausforderung, aber es tut gut, in die Gemeinschaft der Schwestern eingebettet zu sein. Ich kann Sorgen teilen, mir Rat und Unterstützung holen, mich aber auch zurückziehen. Der Rhythmus des Ordenslebens, das Gebet tun gut. Ich schöpfe Kraft aus dem Wort Gottes und weiß mich von meiner Gemeinschaft getragen.
Ordensnachwuchs bleibt leider auch bei uns Grazer Ursulinen aus, obwohl viele Schüler und Schülerinnen besorgt fragen, wie es denn weitergehen würde, wenn keine Schwestern mehr nachkommen sollten. Es liegt ihnen sehr daran, dass es mit uns Ursulinen weitergeht, sie schätzen die Schule und die Schwestern. Das religiöse Angebot im Haus wird gut angenommen. Wir laden Eltern, Lehrer:innen und Schüler:innen ein zur Weihnachtsvesper, zur Speisensegnung, zu Roraten, Maiandachten, „Bet and Breakfast“ in der Fastenzeit, zu unseren Gottesdiensten, es kommen immer mehr. Die Sehnsucht nach Glauben und Halt ist groß. Solange wir Ursulinen da sind, werden wir unseren Glauben mit den Menschen teilen, werden wir für jene da sein, die uns brauchen und bereit sein, Rede und Antwort zu stehen, wenn sie uns nach der Hoffnung fragen, die uns erfüllt.
Wir sind eine alternde Gemeinschaft, aber fröhlich und guten Mutes. Es geht uns gut miteinander, wir lassen einander viel Freiraum, gestalten eine schöne Liturgie, singen gerne, gehen Schifahren oder Wandern – selbst die Schwestern über 80. Ich male Ikonen, arbeite mit Leidenschaft im Garten, singe im Absolventinnenchor unserer Schule, lese viel, gehe ins Konzert und verbringe Zeit mit meinen Großneffen und Großnichten. Wahrscheinlich fahren nicht viele Schwestern mit Kindersitz im Auto durch die Gegend. All das und mein Freundeskreis außerhalb des Klosters machen mein Leben schön, ich würde diesen Weg jederzeit wieder gehen. Das, worauf ich zur Zeit meines Eintritts dachte, verzichten zu müssen – nämlich das Reisen – ist mir vielfach geschenkt worden: Mein Beruf, aber auch mein Orden und meine Freund:innen haben mich in viele Länder geführt, von Botswana im Süden Afrikas über die USA, nach Israel und in viele europäische Länder.
Nicht eingesperrt im Kloster
Ordensleben heißt nicht, eingesperrt zu sein, ich trage auch nicht immer mein Ordenskleid, denn ich denke, nicht das Kleid macht eine Schwester. Für mich heißt Ordensleben, den Glauben zu verkünden, Liebe und Hoffnung zu schenken, politisch zu denken und sozial zu handeln, den Mund aufzumachen und mitzumischen, Christus ein Gesicht und eine Stimme zu geben, indem ich den Menschen behutsam begegne und Zeugnis gebe von dem, der war und der ist und der kommen wird und der unser aller Leben in seinen Händen hält – „no matter what“ – oder: Was auch immer geschehen mag.
Aus der Kirchenzeitung "martinus", Ausgabe 28 v. 14. Juli 2024