Hl. Messe
Liebe Schwestern und Brüder in Christus,
liebe jubilierende Bauernkapelle St. Georgen,
Liebe Verantwortungsträger im Land, in unserer Stadt, in den Gemeinden, in den Vereinen, in der Gesellschaft,
Lieber Chor Pax et Bonum,
Liebe Mitbrüder, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
liebe Wegbegleiter, liebe Familie!
Ich darf mich mit Euch bei dieser Dankesfeier gemeinsam erinnern.
Das Jahr 1963 ist, wie auch die frühen 60iger Jahre und die Zeit der Nachkriegsjahre, eine Zeit des Aufbaus, der Neuorientierung und des ungebrochenen Willens, eine gemeinsame bessere Zukunft zu bauen: „Die Generationen nach uns sollen es besser haben.“ Der 2. Weltkrieg, all die Kriege mit ihrer bodenlosen Zerstörung, die bedrückende Armut, die Ruinen der Städte und Dörfer, die verwundeten Herzen der Menschen sollten die Zukunft unserer Welt nicht mehr prägen.
„I have a dream!“, dieser nicht verstummte Aufschrei des Propheten Martin Luther King im Jahr 1963, der mit seiner Bürgerrechtsbewegung die bisherige Welt der Versklavung beenden wollte, hat heute - unter anderen Vorzeichen – immer noch Gültigkeit. Ich hoffe, auch wir haben nicht ausgeträumt. Nein, ich wünsche uns allen Mut zum Träumen, denn so, wie diese Welt ist, so, wie unser Leben verläuft, so, wie wir Gegenwart gestalten und Zukunft entwerfen, kann es nicht bleiben!
Wir dürfen träumen und ich wünsche Mut zum Träumen! Das hat nichts mit Schlafwandeln zu tun. Für Träume braucht es die Dankbarkeit für alles, was uns mit auf den Wegen gegeben wurde und es braucht Fantasie, Freude, eine gemeinsame Kraftanstrengung und Gelassenheit, Geduld, Angstlosigkeit und Zuversicht. Das gilt für die Kirche, die Gesellschaft, die Politik, für alle unsere Lebensbereiche.
Schallgeschwindigkeit und Turbo können zwar faszinierend sein, aber sie zerstören und machen atemlos, wie auch die anderen menschenverachtenden Ideologien, die vom Beginn der 60iger-Jahre an unsere Jahrzehnte geprägt haben.
In der Kubakrise erreichte der Kalte Krieg eine neue Dimension, die Konfrontation zwischen den Vereinigten Staaten und der damaligen Sowjetunion gipfelte in einem drohenden Atomkrieg. Der Mauerbau in Berlin hat nicht nur Deutschland getrennt, sondern ist zu einer unüberwindbaren Trennmauer in Europa mit vielen Toten und wehrlos Flüchtenden geworden. Was all das auslöst, haben wir im Burgenland intensiver erlebt als anderswo in Österreich. Die Auswanderung vieler Menschen, das Ringen um Identität, der unüberwindbare Eiserne Vorhang, die Fluchtbewegungen 1956, 1989 und 2015, wenn auch unter ganz anderen Vorzeichen, und die entwürdigende Armut.
1963 blieb nicht ohne Folgen bis heute, nicht die Ermordung des US-Präsidenten John F. Kennedy am 22. November, nicht die Weiße Revolution im Iran, aber auch nicht die deutsch-französische Aussöhnung unter Charles de Gaulle und Konrad Adenauer. Am 3. Juni stirbt der gütige und humorvolle Konzilspapst Johannes XXIII., ihm folgt der Kardinal von Mailand, Paul VI., der Intellektuelle, Ringende und oft Verkannte, der Dolmetsch des II. Vatikanischen Konzils, der es auch zum Abschluss brachte und dessen Umsetzung streckenweise immer noch aussteht. Zwei Monate vor seinem Sterben, vor 60 Jahren, veröffentlichte Papst Johannes XXIII. seine viel beachtete Enzyklika „Pacem in terris“ und teilte seine Sorge erstmals nicht nur mit den Katholiken weltweit, sondern mit allen Menschen guten Willens. Diese Friedensbotschaft, gegen Rüstungswettlauf und Atomwaffen gerichtet, war damals schon ein Stachel im Muskelmessen der Waffengiganten und ist heute noch aktueller im Blick auf den Krieg in der Ukraine, auf die Kriege weltweit und die grenzenlose Gier der Waffenindustrie.
Sechs Jahrzehnte – was ist das schon im Gesamtpaket der Weltgeschichte, im menschlichen Labyrinth der Hoffnungen zwischen Zuversicht und Zerstörung, auf den Wegen der Sehnsucht nach Leben und Sinn, in den Sackgassen der Verirrungen und der Widersprüchlichkeiten, auf den Umwegen der Selbstbezogenheit und der zunehmenden Egoismen und Verdächtigungen und auf den einfachen Pilgerwegen unseres Lebens?
Das Leben ist heute leistbarer geworden, wir haben heute vieles, was vor 60 Jahren noch undenkbar gewesen wäre. Ob wir Menschen besser geworden sind? Das kann ich nicht beantworten.
Die Wissenschaften haben Gott sei Dank große Fortschritte gemacht, und Gott ist immer noch aktuell. Die neue Revolution heißt „soziale Kommunikation“, die nicht nur Brücken des Verstehens baut, sondern auch tiefe Gräben reißt. Ob die künstliche Intelligenz unser Denken ablösen wird, den Menschen verdrängen kann und den Schlüssel zur Lösung der Probleme schon angesteckt hat, bezweifle ich sehr.
Liebe Schwestern und Brüder,
Was aus den Anfängen der Bauernkapelle St. Georgen vor 60 Jahren bis heute geworden ist, verdient bei diesem Dankgottesdienst unseren besonderen Dank. Diesen Dank möchte ich weitergeben an alle, die wie Ihr, die Musikerinnen und Musiker, Freude schenken, Talente entfalten, Leben begleiten und zum Klingen bringen, ihre Freizeit verschenken und großzügig im Überraschen sind. Ohne dieses Zutun, ohne diesen Mehrwert wäre unser Leben ärmer, eintöniger, grau und auch das kirchliche Leben hätte vieles eingebüßt.
Ostern aber ist bunt, voller Leben. Christen sind österliche Menschen, die fünfzig österlichen Tage sind Tage der Begegnung mit dem Auferstandenen, sie bringen die Herzen zum Brennen. Sie sind auch Tage der Begegnung mit den Menschen, die füreinander Brot brechen und die Stolpersteine auf den Wegen nach Emmaus wegräumen.
Ich danke Euch, allen vor Euch, und allen, die wie Ihr in unserem Land durch ihr ehrenamtliches Tun in vielen Bereichen das Leben in Stimmung bringen. Es braucht viel Können und ständiges Üben, Hellhörigkeit, Gleichklang und einen Kapellmeister und Dirigenten, damit die Partitur zum Klingen kommt. Nicht nur in einer Musikkapelle oder in einem Orchester, sondern auch in der Kirche, in der Gesellschaft, vielleicht sogar in den demokratischen Parteien braucht es eine symphonische Kraft, die uns entdecken lässt, dass jede und jeder von uns gebraucht wird, mit der eigenen Stimme singen und mit den eigenen Instrumenten musizieren und dabei die anderen Stimmen und Mitspieler als großes Geschenk annehmen darf.
Mit 60 zählt man hoffentlich weder zu den Gruftis noch zu den Kompostis, wir tun heute ja auch alles, um jung und dynamisch zu bleiben.
Und trotzdem möchte ich fragen:
Was kann ich nicht mehr?
Was kann ich noch?
Was kann ich erst jetzt?
Allein das zu erkennen, wäre schon eine Lebensaufgabe, für die unser Leben wahrscheinlich zu kurz ist.
So bitte ich heute den lieben Gott: Gib uns allen, und wenn es dir recht ist, auch mir, noch genug Zeit dafür!
Amen.
Ägidius J. Zsifkovics
Bischof von Eisenstadt