Weltgebetstag für geistliche Berufungen
Liebe Mitschwestern, Liebe Mitbrüder in der geistlichen Berufung,
Liebe jungen Christen und alle Getauften und Berufenen,
Liebe Brüder und Schwestern, hier am Oberberg versammelt!
Jede Berufung, besonders die geistliche beginnt mit dem Hören, mit dem Hin-Hören, mit der Offenheit und mit der Wachheit.
Höre deine Berufung! Das ist der Anfang und der Einstieg für einen Weg, der alles auf eine Karte setzt. Der Erste, der spricht und ruft, ist immer Er, der herausfordert, nicht überfordert, der ermutigt, aber niemals entmutigt.
„Höre, Israel! Der Herr, unser Gott, der Herr ist einzig!“ Diese Grundformel der Berufung findet ihre Fortsetzung in der Berufung von Abraham, Isaak und Jakob, im Hören des Mose und seines Gottesvolkes, im Hin-Hören der Propheten durch die Zeiten, im Vertrauen auf Gottes Wort und seine Verheißung in der Berufungsgeschichte von Maria und Josef, im Hören der unzähligen Frauen und Männer, die unsere Kirche geformt, den Menschen die Würde gegeben, die Gesellschaft geprägt haben und auch heute Kirche und Gesellschaft beleben. Berufungen sind ein Seismograph für die Lebendigkeit des Volkes Gottes, der Kirche, einer Diözese und der Pfarre.
Gott schreit nicht und poltert nicht, seine Stimme ist leise, leicht überhörbar, er bricht nicht laut über die Menschen herein, er lädt ein, er spricht an, er ruft, er geht mit.
Die Anfangsmotivation, auch die Kraft zum Durchhalten, kann, wenn es um geistliche Berufungen geht, niemals sein: Was kann „ich“ werden, wie kann „ich“ mich verwirklichen, was passt zu mir, oder sogar die Frage: Wie kann ich „mein Christsein“ verwirklichen, „meine Frömmigkeit“ perfektionieren, „meine Gottesbeziehung“ leben, wie kann ich meinen Gott, meinen Lebenssinn finden?
Liebe Freunde, wer Gott sucht, wer auf ihn hört, wird keine schnellen Antworten finden, wohl aber Gottes Gegenwart. Ich bin überzeugt, unsere Zeit und auch unsere Generation hat Gott nicht aus den Augen verloren, ist nicht verstockt und taub geworden, wenn es um Gott geht.
Vieles allerdings hat sich verschoben, ist anders geworden, die Gewichtungen sind manchmal verrückt, und doch bleibt: Gott ist keine Freizeitbeschäftigung, keine Beliebigkeit, kein Zufallstreffer.
Es mag viele Gründe geben, dass die Berufung zum Priester, Ordenschristen und Diakon nur mehr sporadisch gehört wird, aber trotz aller religiösen und existenziellen Erosionen ist auch der postmoderne Mensch nicht weniger religiös geworden. Der vorherrschende Individualismus im Leben unserer Gegenwart verdeckt vieles, was mit dem aufregenden Abenteuer der Berufung zu tun hat. Auch der beschränkte Blick auf den „eigenen“, mir zurechtgebastelten Gott, verstellt die Berufung.
Berufung aber ist Verschwendung, Hingabe, und setzt sich bewusst diesem Gott aus, sie hört auf Gott!
In diesem Jahr halten wir zum 60. Mal den Weltgebetstag für geistliche Berufungen. Und doch sind wir sehr arm geworden in der Bereitschaft, die besondere Lebensform der Nachfolge Christi anzunehmen und umzusetzen, obwohl es immer auch Überraschungen gibt. Wir können und dürfen uns die Frage nicht ersparen, wie reden wir von geistlichen Berufungen und was tun wir: die Bischöfe, Priester, Ordensleute, Religionslehrer, die Eltern und Großeltern, die Freunde und Wegbegleiter auf den Wegen unseres Lebens? Gebet, tatkräftige Unterstützung, aufmerksame Begleitung, offene Pfarrhäuser, Ordensgemeinschaften mit durchlässigen Klostermauern, das ermutigende Glaubenszeugnis bei den Jugendtreffen, das Arbeiten mit den Ministrantinnen und Ministranten, das Gespräch, das Anreden – all das sind Grundvoraussetzungen für ein waches Hinhören.
Echte Berufung ist immer das „Ineinandergreifen von Gottes Erwählung und menschlicher Freiheit, sie ist eine dynamische und anregende Beziehung, bei der Gott und der Mensch Gesprächspartner sind“ so Papst Franziskus in seinem Schreiben zum Weltgebetstag.
Berufung beginnt mit dem Hören, nicht mit dem Reden und endlosem Diskutieren, nicht mit der Ämterfrage, nicht mit der Frage nach Geld und Freizeit. Berufung ist keine work-life-balance, sondern ein Lebensmodell, ein Geschenk, eine Aufgabe, die sich nicht mit Funktionalität oder gesellschaftlicher Plausibilität messen lässt. Es gibt keine Berufung ohne Wagnis. Papst Franziskus in Ungarn an die Jugendlichen: „Wer wagt, gewinnt.“ Es gibt keine Berufung ohne den Geist des Auferstandenen, der uns aus der Apathie herausholt und zur Sympathie und Empathie befähigt.
Liebe Brüder und Schwestern, ich möchte Euch danken für Euer Zeugnis und Euch ermutigen zum Reden, einladend und ansteckend. Christsein ist keine lästige Pflichtübung. Christsein ist ein lebenslanges Hineinwachsen in die persönliche Berufung. Gott ruft Dich und mich und viele mit uns, auch mit all unseren Defiziten.
Er ist der gute Hirt – der uns nicht auf der Strecke lässt.
Er ist die Tür zum Leben, die Tür des Vertrauens und der Verheißung – diese Tür bleibt für niemand verschlossen.
Er ist die Tür zur Freiheit und zur Geborgenheit – Berufene werden nicht dem Zufall ausgesetzt.
Ich bitte Euch alle, zu beten, aufmerksam und wach zu sein, mitzugehen und zu ermutigen: Geistliche Berufungen sind nicht nur möglich, sondern notwendig! Ohne sie verkümmert unser Christsein, auch die Gesellschaft.
Ich bitte Euch hier im Heiligtum der Gottesmutter am Oberberg:Hören wir, was er uns sagt, und: Was er uns sagt, das tut!
Amen.
Ägiduis J. Zsifkovics
Bischof von Eisenstadt