Pennälertag
Lieber Kartellvorsitzender, liebe Verantwortungsträger im MKV auf Bundes- und Länderebene und in den Verbindungen,
Lieber Kartellseelsorger, Liebe Mitbrüder,
Liebe Katholische Schüler und Studenten,
Liebe Verantwortungsträger in Politik und Gesellschaft,
Liebe Familien und Festgäste!
Am Pfingstfest wird der österreichweite Pennälertag des Mittelschüler-Kartell-Verbandes durchgeführt, heuer in der Freistadt und Landes-hauptstadt Eisenstadt. Ihr seid unsere willkommenen Gäste im jüngsten Bundesland Österreichs, an den Grenzen zu Ungarn und der Slowakei und zu Slowenien, lange Zeit getrennt durch den Eisernen Vorhang. Bei uns wird deutsch, kroatisch, ungarisch, romanes und slowakisch gesprochen, wir leben eine bunte Vielfalt der Kulturen. Aber wir können auch die Wunden nicht vergessen, die uns zugefügt wurden und die wir zugefügt haben im Nationalsozialismus, im Umgang mit unseren großen jüdischen Gemeinden, an den Roma und Sinti und auch unter den christlichen Kirchen.
Im Jahr 2001 konnten wir den Pennälertag bei uns beherbergen, 2021, anlässlich des 100-Jahr-Jubiläums des Burgenlandes konnte der geplante Pennälertag coronabedingt nicht durchgeführt werden. 2024 feiert unsere Forchtenstein 100 Jahre, ihr und den anderen burgenländischen Verbindungen darf ich für alle Vorbereitungsarbeiten danken.
Pfingsten, der Abschluss der 50 österlichen Tage, ist ein großes Geschenk, eine Zumutung Gottes, die Geburtsstunde der Kirche, damals im Abendmahlssaal und heute, wo immer Christen miteinander feiern und es auch sind. Dieser Geist schafft kreative Unruhe, weckt Leben, genügt sich nicht mit der Asche des Verbrannten, mit dem Gewöhnlichen, mit festgefahrenen Traditionen und mit billigen Ausreden. Der Heilige Geist ist die „Ohrfeige Gottes“ gegen Oberflächlichkeiten, Lebenszerstörer und alle, die der Zukunft misstrauen und die eigene Selbstverwirklichung als geistvolle Errungenschaft hochloben. Euer Leben als Coleurstudenten baut auf vier Prinzipien: Religio, Patria, Scientia, Amicitia sind, davon bin ich überzeugt, geistvolle Eingriffe in Euer Leben und nie zu Ende gedacht.
Religio – Leben aus dem Glauben
Wenn ich richtig verstehe, geht es dabei nicht um „irgendeine“ Religion oder um diffus Religiöses, sondern um das christliche Zeugnis und um die Berufung, die in Taufe und Firmung grundgelegt wurde. Diese Berufung heißt: Leben aus dem Glauben!
Ist ein solches heute noch möglich? Kirchen und Gläubige sind verunsichert. Diese Krise hat viele Ursachen, auch begründete. Kirchendiskussionen haben meist sehr wenig mit Glauben zu tun. Wo aber Gott abgeschafft wird, wird auch der Mensch verdrängt und entstellt. Das hat der aggressive Atheismus gezeigt und haben die Gottesleugner und Gottesverschwörer aller Zeiten zugeben müssen. Ohne Gott wird der Mensch zur Karikatur, sein Ebenbild wird zertreten.
Glaubt Ihr, dass Ihr wisst, wer Ihr seid?
Glaubt Ihr, dass Ihr wisst, wer dieser Gott Jesu Christi ist, dem man sogar in den dunkelsten Stunden und in den größten Zweifeln, wenn alles Reden über ihn verstummt, ganz nahe sein kann?
Der Glaube ist keine Theorie, keine Ideologie, keine Ansammlung von Dogmen und Vorschriften, sondern ist Praxis und will gelebt werden. Immer wieder haben sich junge Männer aus Euren Verbindungen auch dem Dienst des Priesters und des Ordensmannes nicht verschlossen. Auch zu diesen Berufen möchte ich heute ermutigen!
Wir müssen aus der kirchlichen Jammerseligkeit herauskommen. Ich bitte Euch, helft mit, eine einladende Kirche zu werden und zu leben! Das Evangelium lässt sich nicht einsperren! Wer glaubt, fürchtet sich nie!
Patria – Heimat und Zuhause
Im heutigen politischen Agieren wird dieser Begriff oft missbräuchlich verwendet. Solche Fehldeutungen führen zu einer verantwortungslosen Verengung. Enge tötet, Zäune und Mauern schüren Angst. Unser Österreich ist reich an Kulturen, Geschichte und Begegnung. Auch das größere Europa ist keine Festung, es ist völkerverbindend.
Als Vertreter der Österreichischen Bischofskonferenz darf ich mich in der COMECE, in der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Union, einbringen. Ich bin ein überzeugter Europäer und wir alle sind Europa! Europa ist größer als Brüssel und die anderen Verwaltungszentren und parlamentarischen Labors. Zwar ist das Friedensprojekt Europa mit dem brutalen Angriffskrieg in der benachbarten Ukraine brüchig geworden, aber es darf nicht aufgegeben werden. Es mag vieles, was entschieden wird, nach Bürokratismus riechen und trotzdem werden wir die großen Brocken nur miteinander stemmen können: Migration, Überfremdung, Überalterung, Arbeitslosigkeit, Wirtschaft, Überproduktion, Umweltzerstörung, Transitverkehr, digitale Welt, soziale Kommunikation und künstliche Intelligenz, und vor allem das hohe Gut der Demokratie und der Solidarität. Wir sollten wieder von unseren europäischen Gründervätern lernen.
Das gemeinsame Haus Europa steht auf den Werten von Europarat und Europäischer Menschenrechtskonvention, doch dieses Haus bröckelt auch nach 75 Jahren. Der tschechische Präsident und Literat Václav Havel hat in seiner Rede vor dem Europarat 1990 gesagt: „Für mich bedeuten die zwölf Sterne, dass man besser auf der Erde leben könnte, wenn man es wagen würde, von Zeit zu Zeit die Augen zum Himmel zu erheben.“
Ob er damit auch Europa als „christliches Abendland“ gemeint haben könnte? Darüber zu reden, fällt uns zunehmend schwer, vielleicht fehlt der Mut. Die Disqualifizierung unserer eigenen Geschichte und Kultur hinterlässt Ruinen. Hat Papst Franziskus unrecht, wenn er sagt, dass dieses Europa vergreist, ohne Dynamik und Hoffnung sei?
Bürgernähe bedeutet auch: EU-Erweiterung, eine gemeinsame Außenpolitik- und Verteidigungspolitik, eine verantwortungsvolle Zuwanderungs-politik, damit die Ängste der Menschen nicht überhandnehmen.
In diesen Tagen im Mai gedenken wir auch der EU-Osterweiterung vor 20 Jahren und des Mitteleuropäischen Katholikentages in Mariazell. Europa wird sich in einer multipolaren Welt, in der neue Führungsmächte entstehen, mutig orientieren müssen. Stärke ist nie eine Frage des Geldes, der Waffen und der Strategien, sondern eine Frage, ob Subsidiarität, Respekt vor Traditionen und Kulturen und gelebte Solidarität noch funktionieren. Im Juni sind Europawahlen. Ich bitte Euch, und ich bitte vor allem die jungen Menschen: Macht bei dieser Wahl von Eurer Stimme Gebrauch! Wählt eine gemeinsame Zukunft in einem guten Europa! Wer nicht wählt, gibt anderen die Macht, ohne, wenn nicht gegen unsere Freiheit zu handeln.
Scientia – Wissenschaft, Lernen und Lehre
Nicht alles, was als Wissen verkauft wird, ist weise und gut. Doch, was unbegründete Wissenschaftsskepsis und Wissenschaftspessimismus anrichten können, zerstört Leben. Pragmatismus ist der Feind der wissenschaftlichen Neugier und setzt nur das Überleben der Stärkeren durch. Die Grundfragen des Menschen: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Was ist der Sinn meines Lebens? – bleiben. Simple Antworten darauf greifen zu kurz, richten sich nur nach Megatrends, verleiten zu Amüsement und lassen das Leben explodieren. Ich bitte Euch: Bleibt und werdet Lernende und Lehrende, Suchende und Fragende und habt Mut, zuzugeben, dass wir alle nur sehr wenig wissen. Übrigens, in der Bibel gibt es ein eigenes „Buch der Weisheit“.
Amicitia – Freundschaft, Gemeinschaft, Geschwisterlichkeit
Nach der Pandemie schien es logisch, in der Welt mehr aufeinander zuzugehen. Was ist gekommen? Durch die sozialen Netzwerke: Auflösung, Anfeindungen, Verdächtigungen, Verschwörungen, Desinteresse am anderen, konsumorientierter Individualismus, die Besessenheit von Freizeit und hohe verbale Gewalt. Kriege toben, unabhängig davon, ob die Rechte auf der einen und die Linke auf der anderen Seite steht. Aus den Weltkriegen, aus der Atombombe, aus der Shoah hat der Mensch nicht viel gelernt. Es scheint, wir basteln unbeirrt an einer Disqualifizierung des Menschen, an der Gewalt in allen Lebensbereichen.
Liebe Freunde, es braucht eine neue Strategie der Freundschaft, die Akzeptanz der anderen, auch wenn sie ganz anders denken und sind. Aus dem Geheimnis der Freundschaft wächst Kirche, auf ihm baut Familie. Sie liegt auch dem guten politischen Tun zugrunde, an ihr gesundet die Gesellschaft. Ich bitte Euch, nehmt dieses Geschenk der „amicitia“ an und gebt es weiter, geizt nicht damit! Heute am Pfingsttag vertrauen wir auf das Wirken des Geistes Gottes in uns und durch uns. Er schenkt uns die Fähigkeit zum Guten, er hält seine Gaben nicht zurück. Der Auferstandene geht mit uns durch diese Welt. Und deshalb hat diese Welt Zukunft!
Amen.
Ägidius J. Zsifkovics
Bischof von Eisenstadt