Predigt zum Martinsfest 2024
Predigt am Martinsfest von Diözesanbischof Ägidius J. Zsifkovics.
Liebe Schwestern und Brüder hier im Martinsdom,
Alle, die Sie mit uns über die Bildschirme verbunden sind,
besonders die Alten und Kranken daheim und auch alle in den Spitälern und Heimen,
Liebe Martinsfamilie!
Wir feiern heute den heiligen Martin. Er ist kein bequemer und abgestaubter Heiliger, sondern ein Türöffner für unser Leben und ein Weichensteller für die Zukunft. Das war in unserer kurzen burgenländischen Landesgeschichte nicht immer so. Heute gehört der Landesfeiertag zum burgenländischen Allgemeingut. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde der Heilige ausgelöscht und ins Lächerliche gezerrt. Auch in der Zeit, in der Ökumene noch ein Fremdwort war, wurden der Mönch Martin u. der Reformator und Mönch Martin gegeneinander ausgespielt. Daran zu erinnern, ist ehrlich.
Auf Bitten der Burgenländischen Landesregierung wurde der heilige Martin vor 100 Jahren von Rom zum Landespatron des neuen österreichischen Bundeslandes ernannt. Als Diözesanpatron ist er viel jünger. Unser Land, das verarmte, vergessene, ausgehungerte Westungarn, wollte sich von Anfang an auch durch den Landespatron von der alten Heimat unterscheiden. Nicht der hl. König Stephan von Ungarn, nicht der Erzengel Michael, der Patron des Hauses Esterházy – auf der Burg Forchtenstein und in der Franziskanerkirche Eisenstadt mit ihrer Fürstengruft verewigt – sind zum Patron geworden, sondern der heilige Martin. Das war auch eine politische Entscheidung. Mittlerweile ist dieser Heilige, vor über 1700 Jahren in Szombathely geboren, zum Patron unserer gemeinsamen langen Glaubensgeschichte geworden. Er ist prägend für unsere christliche und vom Christentum geprägte Kultur im Abendland, in Europa. Wenn wir über ihn reden, dann vertrauen wir: Das Christentum hat Zukunft!
Der heilige Martin ist ein Anwalt der Zukunft, auch für unser Burgenland, für unsere Diözese, für die christlichen Kirchen und für unsere Gesellschaft. Das konnte die burgenländische Pilgergruppe, die vor einigen Wochen zum Grab des Heiligen nach Tours aufgebrochen ist, zutiefst erleben.
Wir brauchen heute drei Aufbrüche in unsere Zukunft:
Teilen
Die Begebenheit vor den Toren von Amiens gehört zum Allgemeingut, vielfach erzählt, auf Gemälden und Ikonen verewigt. Im Bericht des Sulpicius Severus über Martin, heißt es: Als der selige Mann im Traum sah, dass er im Bettler Christus bekleidet hatte, „erkannte er in seiner eigenen Tat das Wirken der göttlichen Gnade und ließ sich eilends taufen.“
Liebe Freunde, die Begegnung mit dem Armen, das Teilen des Schutzes und der Würde mit dem Nackten und Frierenden, hat Martin den Weg zu Gott eröffnet.
Bei meinen Schulbesuchen erzähle ich gerne vom hl. Martin und vom Bettler. Spontan rief ein Kind: „Das hat Martin gut gemacht!“ Und ich fragte: „Wieso?“, und erhalte die Antwort von einem Kind: „Sonst wäre Gott erfroren!“
Wenn wir nicht zum Teilen bereit sind, dann erfriert Gott, nicht nur der Mensch. Warum ist es in unserer Welt so kalt geworden?
Wer teilt, gibt nicht nur Kleidungsstücke, Brot, abgelaufene Lebensmittel und das, was man nicht mehr braucht. Wer teilt, gibt sich selbst, ein Stück des eigenen Lebens. Teilen macht nicht arm. Solidarität ist immer konkrete Hingabe des Menschen und sie verweist auf den menschenfreundlichen Gott.
Ich bitte Euch: Teilen wir großzügig und gerne, auch, bis es wehtut!
Gemeinschaft
Soziologen sagen, unsere Welt sei eine Ellbogen- und die Menschen eine Ich-Gesellschaft geworden. Wir machen uns zum Maßstab und merken nicht, dass wir verkümmern. Die Menschen sperren sich in Schließfächer, sie erkranken. Für nicht wenige ist der Bildschirm, das Handy, der Laptop das beste Gegenüber und die virtuelle Welt die beste aller Welten. Sie schaffen Ablenkung, greifen zu Drogen, bauen an einer Vergnügungs- und Unterhaltungsindustrie. Sie leben in Sonderwelten, die dem Leben fremd geworden sind. Das Leben erodiert. Leben aber ist Miteinander, Kirche ist Gemeinschaft, Gesellschaft ist Verantwortung füreinander, auch in dieser, ins Schleudern gekommenen Welt. Leben ohne Gemeinschaft wird zu einer Geisterfahrt im Gegenverkehr geistloser Individualisten
Der heilige Martin hat Kirche gelebt, die Gesellschaft geprägt, er war Mönch und ein Bischof auf Augenhöhe. Und er wurde zum Freund der Menschen, weil er ein Freund Gottes war und zum Freund Gottes, weil er ein Freund der Menschen war.
Ich bitte Euch: Üben wir wieder die alte christliche Kultur der Gastfreundschaft, lassen wir die anderen an unserem Leben teilhaben! Dieser gemeinsame Weg, die Synodalität muss wieder gelernt und geübt werden: In Kirche, in Politik, bei den Sozialpartnern, in unseren Pfarren und Gemeinden. Bildung, Arbeit, die Sorge für die Notleidenden und Kranken, die Achtsamkeit für Alte und Pflegebedürftige, die Begegnung mit den Fremden, braucht diesen gemeinsamen Weg. Die letzte Synode in Rom will uns alle dazu ermutigen.
Übrigens, Gott ist einer, der das Miteinander und die Gemeinschaft mit uns Menschen will. Er ist einer von uns geworden, ein Mensch. Viele versuchen heute, diese Wahrheit zu verdrängen und Gott als wichtigste Nebensache der Welt auf das Abstellgeleise zu stellen. Damit nehmen sie auch den Menschen ihre Würde und Gottebenbildlichkeit.
Ich bitte Euch: Setzen wir uns füreinander ein, gehen wir mit einander, finden wir zueinander und tragen wir gemeinsam Verantwortung!
Begeisterung
Was gibt Mut für die Zukunft? Wer macht Zukunft? Das werden die Propheten und Prophetinnen, die Mutigen sein. Nicht die Scharlatane, Angstmacher und Ideologen, sondern jene, die die Sprache der Menschen verstehen und denen das Gotteswort keine Fremdsprache ist. Das ist die Spiritualität des heiligen Martin: Er hat von Gott gesprochen und das Evangelium Christi gelebt. Er hat das Suchen und Scheitern, die Zweifel und die Hoffnungen der Menschen gehört. Das ist eine bodenständige und geerdete Spiritualität, eine, die nach Leben riecht.
So möchte ich in unserem Burgenland die MARTINS-FAMILIE ins Leben rufen. Sie soll Gutes tun, Gutes denken, das Teilen üben, das Miteinander beleben und sich Gottes kreativem Geist gegenüber nicht verschließen. Ich bin überzeugt, wir können unsere Welt beleben. Leben aber lässt sich nicht programmieren, es muss auch weiterhin ermöglicht und entfaltet und riskiert werden. Das gilt für alle Lebensalter, auch für die Gezeichneten und Ausgegrenzten.
Ich bitte Euch an diesem Festtag: Seid geistreich und lasst Euch begeistern!
Ich danke unserem Herrn Landeshauptmann und dem Herrn Landtagspräsidenten, dass sie als Frucht des Jubiläums „100 Jahre Martin Landespatron des Burgenlandes“ und der fruchtbaren Zusammenarbeit von Land und Diözese die Schirmherrschaft über diese Martins-Familie übernehmen, deren Protektor der Bischof von Eisenstadt ist. Ich danke allen in Gesellschaft, Gemeinden und Pfarren, in den Vereinen, in den Familien. Ich danke den Jungen und Alten, die bereit sind, mitzubauen. Ich danke den Betern, den Stillen, den Vertrauenden und den Glaubenden: sie bilden das Rückgrat dieser Martins-Familie. Und ich danke besonders ihm, dem Gott der bedingungslosen Liebe, der mit uns geht und uns eine gute Zukunft eröffnet.
Wie vor einigen Wochen in Tours, so bete ich auch heute hier in Eisenstadt: „Heiliger Martin, bitte für uns – Sveti Martin, moli za nas – Szent Márton, könyörögj érettünk!“
Amen.
Ägidius J. Zsifkovics
Bischof von Eisenstadt