Martinifeier der Burgenländer in Wien
Erlauben Sie mir am Beginn dieser Predigt die etwas provokante aber zugleich auch brandaktuelle Frage: "Wie geht es weiter mit dem Christentum? Hat die Kirche eine Zukunft? Oder tritt das ein, was manche schon seit einiger Zeit befürchten: der Glaube verdunstet, er löst sich einfach auf und verschwindet langsam von der Bildfläche?
Eine Prognose über die Zukunft von Christentum und Kirche können wir nicht abgeben. Aber wir können etwas anderes tun: Jede und jeder Einzelne von uns kann versuchen, Christsein so überzeugend zu leben, dass andere neugierig werden und sich auch für die Botschaft Jesu interessieren. Und wir können miteinander immer wieder nachdenken und die Frage beantworten: Was müsste geschehen, damit auch die kommenden Generationen noch Glauben auf der Erde vorfinden? Wie müsste ein Glaube aussehen, der nicht verdunstet?
Ich möchte Ihnen in dieser Predigt im Blick auf den heiligen Martin 3 Antworten auf diese Frage vorlegen und zum Nachdenken mitgeben.
Unser Glaube müsste zuerst einmal ein suchender Glaubesein. Was heißt das? Ein Glaube, der nicht durch unsere Denkfaulheit und Unbeweglichkeit vor sich hindümpelt und sich nicht weiterentwickelt oder gar in den Kinderschuhen stecken bleibt, sondern ein Glaube, der Traditionen kritisch anschaut; derFragen und Zweifel zulässt; dersich wandeln u. von fragwürdigen Gottesbildern verabschieden kann; derimmer tiefer und intensiver in das Evangelium hineinfinden will.
Ein Glaube, der Zukunft hat, müsste auch befreiend und anschlussfähigsein. Was heißt das? Es ist vor allem ein Glaube, der sich wieder neu ander befreienden Botschaft und Praxis Jesu orientiert – an seiner Offenheit allen Menschen gegenüber; anseiner Art, auf die Menschen zuzugehen und ihnen auf Augenhöhe zu begegnen; anseiner Wertschätzung auch für die Armen, Schwachen, Ausgegrenzten und an den Rand Gedrängten in unserer Gesellschaft. Diese Freiheit sollte zu spüren sein bis hinein in die Feier unserer Gottesdienste in einer einfachen, verständlichen und begeisterten Sprache, die aufatmen lässt und uns als mündige Menschen anspricht. Anschlussfähiger Glaube hätte auch große Überlebenschancen: einer, dersich auf die Themen einlässt, die heute diskutiert werden; derdie Fragen und Sorgen der Menschen ernst nimmt und ihnen bescheiden, verständlich und einfühlsam das Evangelium als Lebenshilfe anbietet; dersich auch nicht scheut, den Dialog mit der Welt – Politik, Wissenschaft, Medien – zu suchen.
Ein Glaube, der Zukunft hat, müsste schließlich ein erzählter und gelebter Glaube sein. Was heißt das? Das ist ein Glaube, bei dem nicht alles schon von vornherein klar ist, sondern über den man miteinander spricht; denman so weitersagt, dass andere spüren, wie gut uns die Orientierung an der Botschaft Jesu tut; denman in der Familie und Pfarrgemeinde schlicht und einfach glaubwürdig lebt und praktiziert, wo Gebet, Gottesdienst, die Feier der Sakramente und die gute Tat im Leben von Bedeutung sind.
Das Leben und Wirken des heiligen Martin zeigt uns, dass es in jeder Zeit – also auch heute – möglich ist, dem Glauben Zukunft zu geben. Martin war in jungen Jahren als römischer Soldat ein Suchender – er hat durch andere zum Glauben gefunden! Martinhat als befreiter und mündiger Mensch, Christ, Mönch und Hirte gelebt und sich im Glauben gegen die Irrtümer seiner Zeit gestellt und die Herde davor beschützt. Martinhat seinen Glauben nicht versteckt, sondern mit guten Taten bezeugt – er hat das heutige Evangelium nicht nur weitererzählt, sondern in die Tat umgesetzt. Ist das alles nicht auch eine Einladung an uns heutige Christen?
Tragen wir auch unseren Teil dazu bei, dass der Glaube auch heute Zukunft hat, indemwir uns als Suchende an Jesu Evangelium herantasten; indemwir als befreite und anschlussfähige Menschen leben und uns nicht aus der Welt in unsere eigenen vier Wände oder als Kirche in die Sakristei zurückziehen; indem wir in unseren Familien und Pfarrgemeinden einander und anderen erzählen, was ein Leben im Sinn Jesu für uns bedeutet und dass es uns erfüllt, glücklich macht.
Der heilige Martin lädt uns heute ein, uns darum im Jubiläumsjahr unserer Diözese besonders zu mühen – und ich bin davon überzeugt – dass wir damit einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass Glaube und Kirche auch in unserer modernen Zeit eine gute Zukunft haben! Amen.