Gründonnerstag 2020 im Martinsdom
Die Feier des Triduum sacrum – der drei österlichen Tage des Gründonnerstags, Karfreitags und der Osternacht – führt uns zum Wesen des Christentums. Wer diese Tage kennt und auch mitfeiert, hat das Wesen des Christentums begriffen. Wer sich in diesen einen großen Gottesdienst hineinnehmen lässt, kann den Übergang vom Tod zum Leben wahrnehmen; der kann hören und sehen, spüren und erleben, dass auch unser Weg vom Dunkel ins Licht führt; der kann mit allen Sinnen erfahren, was Christsein bedeutet. Die Symbole und Zeichen, die unseren Gottesdienst prägen, wollen uns dabei helfen.
Wer diesen Gottesdienst am heutigen Gründonnerstag mitfeiert, kann erfahren, was Christsein bedeutet.
Christsein bedeutet: An die Sympathie Gottes glauben.
Was heißt das? Das Wort Sympathie heißt wörtlich übersetzt Mit-Leiden – und dass Gott mit uns an seiner Welt leidet, können wir heute Abend hören und nachempfinden. In der Lesung lassen wir uns sagen, wie Jesus seinen Tod deutet: Als Hingabe, als Leiden für uns und mit uns, als Sich verzehren lassen von aller Menschen Not.
Das Schweigen der Glocken von jetzt bis zum Gloria der Osternacht; das Wegtragen des Allerheiligsten aus dem Kirchenraum; das Abdecken des Altars und der stumme Auszug am Ende – das alles sind Zeichen unserer Sprachlosigkeit und Trauer. Das alles soll uns auch leibhaft spüren lassen, wie weit Gott in seiner Sympathie, in seinem Mit-Leid und in seiner Erniedrigung geht. Gott leidet mit uns mit!
Christsein bedeutet: Sich auf den Dienst-Weg machen.
Was heißt das? Im Evangelium von der Fußwaschung heißt es: "Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe." Das heißt nichts anderes als: Der Dienst-Weg, den Jesus geht, ist auch unser Weg, der Weg, den jeder Christ, wenn er sich so nennen und wirklich auch Christ sein will, gehen muss.
Wie kaum an einem anderen Tag wird uns heute der enge Bezug von Liturgie und Leben bewusst. Gottesdienst, der nicht durch den Dienst der Fußwaschung kommentiert wird, höhlt sich aus und ist in Gefahr, Fassade und Brauchtum zu werden. Wo aber Eucharistie nicht nur gefeiert wird, sondern sich im Leben auswirkt, da geschieht Wandlung, da lebt der Glaube, da wird der Herr spürbar und sichtbar!
Machen wir uns auf den Weg, um unseren Mitmenschen wie Jesus zu dienen – denen, die uns nah sind, wie auch jenen, denen wir nur aus der Ferne helfen können. Vergessen wir nie die Armen, Schwachen, Kleinen, Notleidenden, Verfolgten, Missbrauchten, Flüchtlinge, Ausgebeuteten unter uns! Fürchten wir uns nicht vor dem Dienst-Weg.
Christsein bedeutet: Jesus Christus als Lebens-Mittel haben.
Was heißt das? "Nehmet und esset, das ist mein Leib" – 'Nehmet und trinket, das ist mein Blut": Mit diesen Worten hat Jesus am Abend vor seinem Tod deutlich gemacht, was er für uns sein will: Nahrung, Wegzehrung, Kraftquelle, Lebens-Mittel.
Das Letzte Abendmahl war die Geburtsstunde der Eucharistiefeier, die Geburtsstunde der Gemeinschaft, die zum Gedächtnis Jesu immer wieder sein Mahl feiert und die Geburtsstunde des Priestertums.
Im Brechen des Brotes beim Letzten Abendmahl nimmt Jesus bereits seinen Tod vorweg, zerbricht sich selber in Brot und tut dies für alle gebrochenen Existenzen. So wird das Brot zum Zeichen seiner Liebe zu uns. So ist und bleibt er im Brot der Eucharistie mitten unter uns. In diesem kleinen Stück Brot gibt er sich uns Menschen als Nahrung in die Hand, ist er das Lebens-Mittel für unsere Seele.
Vergessen, schämen wir uns nicht dieses Lebens-Mittel wie auch die anderen Lebensmittel zu gebrauchen, zu schätzen und zu verehren!
Wer diesen Gottesdienst am heutigen Gründonnerstag mitfeiert, kann erfahren, was Christsein bedeutet: An die Sympathie-Mitleid Gottes glauben – Sich auf den Dienst-Weg machen – Jesus Christus als Lebens-Mittel haben.
Diese drei Aspekte unseres Glaubens stehen heute Abend im Vordergrund – in den Worten, die wir hören, in den Zeichen, die wir sehen.
Vielleicht können Sie einen Gedanken mitnehmen, denn wir unterbrechen dann unseren großen Gottesdienst, gehen ohne Segen und Entlassung auseinander, in die Stille dieser Nacht hinein.
Morgen, am Karfreitag, kommen wir um 19 Uhr in der Stille wieder zusammen, setzen unseren Gottesdienst fort und versuchen neue Merkmale unseres Glaubens und unseres Christseins im Blick auf das Kreuz und den Gekreuzigten zu entdecken.
Ich wünsche uns, dass wir nicht unbeteiligte Zuschauer der Passion Jesu bleiben, sondern sie mit unserem Leben in Verbindung bringen – das ist echtes, lebendiges und gelebtes Christsein! Amen.