Ostern 2020 im Martinsdom
Liebe Schwestern und Brüder – zuhause an den Bildschirmen und trotzdem miteinander im Glauben und durch die gemeinsame Feier des Osterfestes verbunden!
Ostern 2020 ist ganz anders als wir es gewohnt sind, Ostern zu feiern. Das Corona-Virus hat die ganze Welt seit Monaten fest im Griff. Seit Ausbruch dieser aggressiven und heimtückischen Pandemie gibt es weltweit viele Tote, Erkrankte, aber auch Genesene. Es gibt viele Anstrengungen von Seiten der Wissenschaft, dieses Virus zu erforschen. Es wird auch viel Geld bereitgestellt, um rasch einen rettenden Impfstoff, um ein Medikament, um schützende Antikörper zu finden, die uns diese tödliche Krankheit eindämmen und in den Griff bekommen lassen. Doch noch ist es nicht geschafft. Und so ist unser Ostern 2020 von einer in dieser Form noch nicht dagewesenen Krise geprägt.
Ich habe Ostern – das Fest der Auferstehung Jesu – immer wieder als ein Fest gegen die Schwerkraft bezeichnet. In der jetzigen Krise bin ich aber versucht zu sagen, dass Ostern der große "Antikörper" der Menschheit gegen das Übel schlechthin ist. Wie ist das zu verstehen?
Das Virus und die Pandemie haben uns in den vergangenen Wochen gezwungen, aus reinem Selbstschutz bestimmte notwendige Verhaltensmaßnahmen zu ergreifen. Doch mit diesen Maßnahmen waren plötzlich tröstliche menschliche Erfahrungen verbunden, die uns wieder viel tiefer zum Osterereignis und zu unserer wahren menschlichen Bestimmung führen.
Der Zukunftsforscher Matthias Horx hat vor kurzem das Corona-Virus sinngemäß als einen Gruß aus der Zukunft bezeichnet. Er meinte damit, dass die Pandemie uns die Chance gibt, schon jetzt unser Leben zu ändern, bevor es irgendwann einmal zu spät ist.
Auch die österliche Botschaft verändert unser Leben, allerdings von der Wurzel her: Christus hat den Tod ein für allemal überwunden. Wir dürfen als Erlöste leben – ohne Angst, ohne Resignation, ohne Hoffnungslosigkeit und ohne Isolation. Die praktischen Maßnahmen, die uns in der Corona-Krise halfen und auch weiterhin helfen, das Virus einzudämmen, eröffnen uns langfristig einen neuen Zugang zu beidem: zur gesellschaftlichen und zur spirituellen Dimension des Menschseins. Drei Erfahrungen haben wir dabei in der Krise gemacht, drei besondere "Antikörper" haben wir gebildet – und diese mögen uns auch in Zukunft schützen und begleiten:
Erfahrung und Antikörper Numero 1: "Alles herunterfahren, um das Wesentliche, das Notwendige tun."
Unsere Republik funktioniert in diesen Tagen auf Notbetrieb, auch die Kirchen haben sich auf eine Notseelsorge umgestellt und vieles in den virtuellen Bereich verlegt, sogar die Gottesdienste werden über die Medien mitgefeiert. Obwohl die gesetzten Maßnahmen unser aller Leben beeinträchtigen und uns schmerzen, sind sie unserer Gesellschaft auch Wegweisung für die Zeit nach Corona. Denn fragen wir uns einmal ehrlich: Ermöglicht uns diese Krise – so schmerzlich sie ist! – nicht auch, einmal darüber nachzudenken, ob unser bisheriger Lebensstil überhaupt Sinn macht? Fühlen wir uns wirklich so wohl im Hamsterrad eines sich immer schneller drehenden, immer höher hinauswollenden, immer rücksichtsloser, ausbeuterischer und unmenschlicher werdenden Wirtschaftssystems und Lebensmodells? Finden wir es wirklich so toll, als Menschen zu einer bloßen Nummer, zum Spielball von Angebot und Nachfrage, zur ertragsrelevanten Größe zu werden, während Kinder, Alte, Kranke und Behinderte als Kostentreiber und als Belastung für das System abgestempelt sind? Sind wir alle nicht Opfer und gleichzeitig Mittäter dieses aufgeblasenen Lebensstils, indem Mensch und Natur ausgebeutet und dem Diktat von Politik, Ideologien und Großkonzernen ausgeliefert werden?
Ostern zeigt uns, wie tief Gott zu uns heruntergestiegen ist, um uns im Leid und Tod nahe zu sein und uns zum Wesentlichen zu führen, zur Auferstehung und zu einem Leben in Fülle nach dem Tod. Vielleicht mussten auch wir in diesen Wochen und Monaten so tief herabsteigen, um leichter zu verstehen, was wesentlich ist?
Erfahrung und Antikörper Numero 2 in dieser Krise lauten: "Zusammenstehen, gegenseitige Hilfe, Solidarität, Nächstenliebe."
Seit Beginn der Corona-Krise stellen viele überrascht fest, wie plötzlich die Menschen in dieser Not zusammenstehen, wie sie einander helfen und was an Großem und Gutem geschieht, wenn Solidarität und Nächstenliebe den Ton angeben. Mein Dank und mein Respekt gilt allen, die sich in dieser Krise für andere einsetzen und so die Wunden der Not in Wunder der Not verwandeln. Zeigt aber diese Krise nicht auch deutlich, dass Schwierigkeiten nicht durch Egoismus, Isolation und Nationalismus bewältigt werden, sondern vielmehr durch Zusammenstehen, gegenseitige Hilfe, Solidarität und Nächstenliebe? In den vergangenen Monaten hat sich der europäische Gedanke des Miteinanders und der Einheit weithin abgemeldet, um nicht zu sagen: Er wurde verraten, indem man auf den eigenen Vorteil setzt, indem man versucht, einander auszuspielen etwa bei der Besorgung von medizinischen Geräten, Schutzmasken und Schutzbekleidung. Europa muss dringend wieder auferstehen, weil gerade jetzt Einheit, Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe gebraucht werden.
Das sind Werte, die wir nicht nur im Zusammenleben der Völker, Nationen und Religionen benötigen, sondern diese Werte halten auch unsere Gesellschaft, unsere Familien, Vereine, Gemeinschaften, letztlich auch unsere Kirche zusammen. Sind wir nicht oft in Gefahr, alles im Alleingang machen zu wollen, ohne Rücksicht auf andere?
Ostern erinnert uns, dass der Glaube an den Auferstandenen uns zur Solidarität und Nächstenliebe verpflichtet. Vielleicht haben diese Wochen der allgemeinen Verletzbarkeit unserer gesamten Gesellschaft unser Herz wieder für jene geöffnet, die das ganze Jahr über Verlierer sind – die Armen, Schwachen, Kleinen, Benachteiligten, Verfolgten, Missbrauchten, vor allem aber jene, die vor Krieg, Terror und Hunger auf der Flucht sind! Helfen wir als EU, als Republik Österreich, als Kirchen und als Einzelne – denn wir alle können morgen selbst von Schicksalschlägen betroffen sein und erhoffen uns dann wohl auch die Hilfe guter Menschen!
Ich komme zuletzt zu Erfahrung und Antikörper Numero 3 in dieser Krise: "Die Entdeckung von Gott, Religion, Spiritualität, den Wert von Kirche, Familie und christlichem Brauchtum."
Diese Wochen zeigen deutlich, dass für unsere Gesellschaft Religion, Spiritualität, Kirche und Familie von großer Bedeutung sind und zum europäischen Lebensstil gehören. Gerade in Krisenzeiten haben die Menschen den Wunsch nach Institutionen, nach Sicherheit und Halt, hier suchen sie Orte der Stille und des Auftankens, brauchen sie Zuspruch und Begleitung. Wie ist es anders zu deuten, dass gerade jetzt die Nähe Gottes so stark gesucht und die Begleitung der Kirchen so sehr gewünscht wird?
Dank der Medien und modernen Kommunikationsmittel kann die Kirche auch in diesen Zeiten für die Menschen da sein und sie auf ihrem Lebens- und Glaubensweg begleiten.
Erkennen wir auch in Zukunft die Bedeutung von Glaube und Religion für den Menschen und lassen wir uns die Kirche – wenn es allen wieder besser geht und die Angst verflogen ist – nicht nehmen! Sondern gehen wir in die Kirche und geben wir ihr durch unsere Mitarbeit auch morgen ein Gesicht! Tragen wir die jetzt gepflegte Stunde der Familie und der Hauskirche, wo wir unser Christsein in den eigenen vier Wänden leben, weiter in die neue Zeit nach Corona! Unsere Kirche wird nur so lebendig sein, so lebendig der Glaube in den Familien gelebt, gefeiert und an die Jungen weitergegeben wird.
Ostern zeigt uns, dass der Mensch nur mit Gott eine Zukunft hat! Müssen wir nicht als Gesellschaft – aber auch als Kirche! – Gott und sein Geheimnis wieder mehr in den Mittelpunkt des Lebens stellen und nicht nur auf unser eigenes Können und Wissen vertrauen? Wie viel verkrampften Aktionismus, organisatorische Wolkenschieberei und inhaltsleere Akrobatik unternehmen wir als Kirche doch immer wieder! Aber geht es uns dabei noch wirklich um Gott?
Ostern liefert uns die schützenden Antikörper, um – wie der auferstandene Christus – die Dunkelheit zu besiegen. Ostern hilft uns,
- dass wir auch nach der Corona-Krise uns im Leben auf das Wesentliche besinnen und das Notwendige tun;
- dass wir zusammenstehen und uns gegenseitig helfen;
- und dass wir Gott und der Spiritualität, der Kirche, der Familie und dem christlichen Brauchtum wieder einen Wert geben.
Wenn uns das gelingt, dann birgt diese Corona-Krise neben ihren vielen Opfern und schweren wirtschaftlichen Folgen auch ungeahnte Chancen in sich. Dann kann aus dem bedrohlichen "Gruß aus der Zukunft" eine große Wende und ein neuer Weg in eine bessere, lichtvollere Welt werden.
Mein abschließender Osterwunsch an diesem außergewöhnlichen Osterfest 2020 ist die Bitte, die ich im Anschluss an diesen Ostergottesdienst vor der Pestsäule am Eisenstädter Hauptplatz für uns alle an Gott richten werde: "Allmächtiger und barmherziger Gott, befreie und erlöse uns von dieser Pandemie des Corona-Virus, wie Du Deinen Sohn Jesus Christus vom Tod durch die Auferstehung befreit und die Menschheit dadurch erlöst hast!"
Und meine Bitte als Hirte an Sie alle zu diesem Osterfest 2020 lautet: Zünden wir heute und in dieser Osterwoche jeden Tag in unseren Häusern ein Licht an und stellen wir es am Abend in das Fenster, damit alle sehen können: Hier leben Menschen, Christen, die an die Auferstehung glauben und die bereit sind, das österliche Licht in die dunkle Welt zu tragen! Besiegen wir in dieser Krise das Virus der Angst und der Ohnmacht mit den Antikörpern der Freude und der Hoffnung!
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und Ihren Familien von Herzen FROHE OSTERN! Amen.