Homilie zum Martinsfest 2021
Bei der Begegnung von Papst Franziskus vergangenen September mit Priestern, Diakonen, Ordensleuten, Seminaristen und Katecheten im Martinsdom von Bratislava-Preßburg durfte ich unmittelbar vor der eindrucksvollen Martinsstatue des berühmten Wiener Künstlers Georg Raphael Donner sitzen. Der in die Uniform eines ungarischen Husaren gekleidete Martinus teilt seinen Mantel mit dem Schwert und reicht die eine Hälfte dem am Boden liegenden Bettler.
Beim Anblick dieses Werkes aus dem Jahr 1735 beeindruckte mich die Darstellung des Künstlers, wie sich Martin und das Pferd vor dem Bettler tief verbeugen, wie Martin fast vom Pferd heruntersteigt, um dem Bettler zu helfen. Ist das nicht auch eine Botschaft für unser jubilierendes Land und unsere Diözese auf ihrem Weg in die Zukunft?
Mit Martinus sollen auch wir moderne Menschen-Christen vom hohen Ross steigen und wie Jesus den Menschen heute nahe sein. Von Martinus können wir dabei drei Haltungen für unseren Weg lernen:
Das Anhalten und Stehenbleiben.
Wie Martinus als Soldat im Dienst unterwegs war, so sind auch wir heute in unseren verschiedenen Berufen, Aufgaben, Diensten und Verantwortungen unterwegs, meist voller Termine, gestresst und gehetzt. Die Gefahr ist groß, dass wir dabei für vieles am Weg blind werden, einander nicht mehr wahrnehmen und aneinander als Konkurrenten vorbeilaufen. Egoismus, Anonymität, Burnout sind oft bleibende Folgen. Wie fragt der schlesische Dichter Angelus Silesius seine Zeitgenossen so treffend: „Halt an, wo läufst du hin? Der Himmel ist in dir. Suchst du Gott anderswo, du fehlst ihn für und für.“ Anhalten und Stehenbleiben kann heißen, sich wieder Zeit für Gott in der Stille des Gebets, der Meditation, der Feier des Gottesdienstes und der Sakramente zu nehmen sowie für unsere Mitmenschen, ob in Familie, Schule und Beruf, in Vereinen, in Kirche und Gesellschaft. Ohne dieses Anhalten und Stehenbleiben wird unser Reden rasch leer, werden unsere Begegnungen oberflächlich, wird unser Tun berechnend und zur Routine – das hat Auswirkungen auf die Familie, im gesellschaftlichen Umgang miteinander, auf die Politik und Seelsorge. Die Menschen wollen heute weder in der Politik, noch in der Kirche herumlaufende, phrasendreschende und unpersönliche Funktionäre, sondern ansprechende Menschen – das ist nur möglich, wenn wir im Alltagsstress wieder Anhalten, einander ernst, uns füreinander Zeit nehmen. Wie Martinus sollen wir uns den Menschen zuwenden und ihnen Zeit schenken – Zeit zum Zuhören, zum Trösten, zum Helfen, wo es Hilfe braucht, Zeit zum Dasein. Wem sollte ich Zeit schenken?
Das Herabsteigen und die Zuwendung.
Martinus hat sich bei der Begegnung mit dem Bettler – laut Raphael Donner – tief zum Bettler herabgebeugt oder wie uns andere Darstellungen zeigen, steigt er sogar vom Pferd herunter.
Vom hohen Ross heruntersteigen in allen Bereichen des Lebens ist schmerzlich, aber zugleich auch heilsam, notwendig und einladend. Gerade die Pandemie zeigt uns deutlich, wo wir als Einzelne, als Institutionen und als Kirchen vom hohen Ross heruntersteigen und wem wir uns heute besonders zuwenden müssen – den Verlierern, Armen, Notleidenden, Ausgegrenzten, Kindern, Kranken und Alten, vor allem Menschen auf der Flucht vor Hunger, Krieg, Verfolgung, Klimawandel. Herabsteigen vom hohen Ross bedeutet: eineneinfachen und nachhaltigen Lebensstil zu pflegen; den Blick für die Nöte des Nächsten offenzuhalten, hinschauen, nicht wegschauen oder gar vorbeigehen; sich dem anderen zuwenden, auf die Gefahr hin, dass man sich dabei selbst angreifbar und schmutzig macht. Kirche und Gesellschaft wären anziehender, ausstrahlender, lebenswerter, wenn wir alle vom hohen Ross herabsteigen und uns den Mitmenschen zuwenden würden? Martinus hat es uns in der Begegnung mit dem Bettler klar gezeigt.
Das Helfen und Teilen.
Es gibt kein einfacheres und klareres Zeichen der Nächstenliebe und Hilfe als die Mantelteilung von Martinus mit dem frierenden Bettler. Durch diese gute Tat ist der heilige Martin bis heute vielen Menschen bekannt, sympathisch und ein Vorbild im Helfen und Teilen – auch unserem Land und unserer Diözese, die ihn zum Patron haben.
Das Helfen und Teilen ist uns Burgenländern in die Wiege gelegt und wir hatten in der 100-jährigen Geschichte unseres Bundeslandes viel Gelegenheit dazu Martinstaten zu setzen: beim Auf-Ausbau unseres Landes nach den beiden Weltkriegen, 1956 als tausende Ungarn aus ihrer Heimat flohen, 1989 als sich der Eiserne Vorhang öffnete und Menschen aus der DDR über unser Land in die Freiheit gelangten, 2015 als uns die Flüchtlingswelle erreichte und viele vor Hunger, Terror und Krieg durch unser kleines Land nach Westeuropa gelangten.
In diesen Situationen haben sich die Institutionen und Menschen unseres Landes und unserer Kirchen bewährt, geholfen und geteilt. Trotz Kritik und Unverständnis vieler Zeitgenossen, helfen und teilen wir auch heute mit Menschen in Not und auf der Flucht – es ist eine Martinstat, zu der uns unser Landes- und Diözesanpatron verpflichtet!
Auf unserem Weg in die Zukunft als Land und Diözese zeigt uns Martinus drei Grundhaltungen, um die wir uns im Alltag mühen sollen: Anhalten und Stehenbleiben – Herabsteigen und Zuwenden – Helfen und Teilen. Ein Land, eine Diözese, in der es Menschen gibt, die sich darum mühen, die solche Martinstaten heute setzen, ist auf einem guten Weg, erfüllt Jesu Weisung im Evangelium: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan.“ Als Frucht des Jubiläums, lade ich alle Pfarren unserer Diözese am 11. jedes Monats zu Martinsfeiern ein – ein Gebetsheft hilft uns dabei! Gottschenke unserem Land und unserer Diözese viele Menschen-Christen, die heute Martinstaten setzen und er lasse seine Vaterhand auf unserem Burgenland und seinen Menschen ruhen!
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