Ökumenisches Friedensgebet in Oberwart
Lasst euch mit Gott versöhnen! – 2Kor 5,7-21
Schwestern und Brüder in Christus!
Ich danke, dass ich heute hier in der Evangelischen Kirche AB das Schriftwort auslegen darf. Diese Gemeinde hat eine alte Tradition, geprägt von einer soliden Geschichte, und ist heute nicht mehr zu denken ohne die gemeinsame Geschichte mit der Evangelischen Kirche HB und der Römisch-Katholischen Kirche in Oberwart.
Aber nicht immer war es so. Unsere Geschichte – obwohl gezeichnet von gemeinsamen Wurzeln, vom Ungarischen, Kroatischen und Deutschen, auch von einer gemeinsamen Geschichte der Armut und Entfremdung, der kriegerischen Auseinandersetzungen und der Überfälle – hat auch uns auf weite Strecken entfremdet. Diese Trennlinien waren nicht nur kirchliche, sondern auch gesellschaftliche, familiäre, oft bis in die kleinsten Lebensbereiche hinein. Wir haben uns in der Vergangenheit leider oft auseinandergelebt und wir haben uns gegenseitig das Leben schwer gemacht. Wir waren nicht Zeugen für Christus. Als Christen sind wir sogar unglaubwürdig geworden, das Evangelium haben wir beliebig ausgelegt, die Frohbotschaft haben wir eigenmächtig zurechtgebogen und oft den anderen gegenüber zu einer Drohbotschaft umgedeutet.
Heute ist es Gott sei Dank nicht mehr so!
Aber wir haben auch gelernt, oft mühsam – das darf ich aus Überzeugung sagen – aus der Kraft der Versöhnung zu leben, miteinander und nicht gegeneinander. Wir haben gelernt, als Christen zu leben, und für die Welt und die Menschen, die uns anvertraut sind, ein ehrliches Zeugnis zu geben, das wir allerdings immer in zerbrechlichen Gefäßen tragen. Denn auch der Schatz unseres Glaubens ist sehr fragil geworden, die Bilder der "festen Burg" und des "Hauses voller Glorie" tragen heute nicht mehr. Das Bild vom Zelt Gottes, vom pilgernden Gottesvolk, vom Lazarett, Bilder der suchenden und fragenden Kirchen sind uns heute viel näher. Umbrüche, Unsicherheiten, Herausforderungen und Überforderungen sind die Wirklichkeiten dieser Zeit, Pandemie und Krankheit, Krieg und Terror, Ich-Bezogenheit, Missbrauch, die Gier und der grenzenlose Hass – besonders in den sozialen Medien, Verdächtigungen, Verschwörungstheorien und Wissenschaftsfeindlichkeit und die neue soziale Armut, die auf uns zukommen wird, bestimmen unseren Alltag.
Bis gestern haben wir noch vom "Friedensprojekt Europa" gesprochen und von atomarer Abrüstung geträumt und haben wenigstens wage Schritte der Versöhnung angedacht. Bis gestern haben wir auf die Vernunft der Menschen gesetzt, niemand hätte gedacht, dass Menschen bei uns die Menschen bedrohen, nur weil sie anderer Meinung sind. Bis gestern haben wir gemeint, dass Politik ein Tun für die Menschen ist und nicht ein Gieren nach Macht, Einfluss und Positionen. Bis gestern haben waren wir auch der Überzeugung, dass der erste Dienst der Kirchen die Verkündigung des Wortes Gottes, die Gottessuche, der Dienst an den Menschen und das gelebte Zeugnis sind, heute sind wir verunsichert, gezeichnet und angefragt. Wir fragen uns selbst, wozu wir eigentlich noch gut sind. Wir alle, in- und außerhalb der Kirchen, leben in irgendeiner Form den "Verrat am Evangelium".
Was von einer Kirche, die den Vernichtungskrieg in der Ukraine rechtfertigt und den imperialistischen Machtansprüchen Moskaus weitgehendst ihren Segen erteilt, heute gedacht werden muss, kann aber auch selbstkritisch – was unsere eigene Geschichte betrifft - benannt werden. Auch wir haben Waffen gesegnet, Nationalismen geschürt, die Menschen gegeneinander aufgehetzt. Von "gerechten Kriegen" haben wir gesprochen, menschenverachtende Ideologien mitentwickelt und verbreitet, die Augen oft verschlossen und geschwiegen, letztlich, weil wir nicht verstehen wollten, was es heißt: Lasst euch mit Gott versöhnen!
Doch wir Kirchen haben gelernt, weil wir immer neu auf dem Prüfstand stehen und mit Recht befragt werden, ob wir wenigstens versuchen, aus der Wahrheit der Versöhnung zu leben. Wir müssen aber zugeben, wir haben es nur ansatzweise getan, und wir werden es auch in Zukunft nur ansatzweise tun können, denn Versöhnung geht immer von Gott aus. In Jesus Christus, dem Gekreuzigten wurde er uns allen zur Versöhnung. In der kurzen, aber zukunftsweisenden Erklärung "Nostra Aetate" sagt das 2. Vatikanische Konzil: "Die Kirche glaubt, dass Christus, unser Friede, Juden und Heiden durch das Kreuz versöhnt und beide in sich vereinigt hat". Die Sünde der Menschheit hat den Erlöser hervorgebracht, sein Kreuz hat die Sünde zunichte gemacht. Gottes Gnadenwirken kommt allen unseren Konzepten zuvor.
Ich bitte euch und die Christen unseres Landes, für die wir stellvertretend hier stehen und beten: "Lasst euch mit Gott versöhnen!"
Die Bilder der Kriegsverbrechen in der Ukraine, die Verstöße gegen das internationale humanitäre Völkerrecht, die Bilder der getöteten Zivilisten, der Kinder, Frauen und Alten, aber auch der Soldaten, die Bilder dieses sinnlosen Krieges machen uns wütend. Auch das Leid, die Armut, der Terror, der Hunger, die Ausbeutung, die Flucht – und natürlich die vielen totbringenden Kriege überall auf dieser Welt verbieten es uns, uns mit dem vielfachen Aufschrei dieser Gequälten abzufinden.
Auch ich muss in der Stunde dieses ökumenischen Friedensgebetes aufschreien und rufen: "Mein Gott, mein Gott, warum hast Du uns verlassen? Und warum gibst Du keine Antwort?"
Dennoch bitte ich euch: Lasst euch mit Gott versöhnen! Übt Versöhnung, tut sie! Reißt Mauern ein, durchtrennt Zäune, schafft Frieden, zuerst den Frieden im Herzen!
Gebt Gott Raum in eurem Leben, lasst Gott wieder Gott sein – er kennt diesen Aufschrei, er kennt die Nacht des Kreuzes, er bleibt immer der gekreuzigte Gott!
Der höchste jüdische Feiertag Jom Kippur, ist der große Versöhnungstag. In der Tradition unserer jüdischen Gemeinden des Burgenlandes – auch hier in Oberwart – wurde dieses Versöhnungsfest durch Jahrhunderte hindurch jährlich gefeiert. Leider wurde es zum Verstummen gebracht, die Sprache der Versöhnung, das Beten unserer Väter und Mütter in der gemeinsamen Gottestradition wurde erstickt. Am jüdischen Versöhnungstag wird heute noch aus dem Buch Jesaja gelesen, wo es heißt: "Das ist ein Fasten, wie ich es liebe: die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke der Unterdrückung abzuwerfen, die Versklavten freizulassen, jedes Joch zu zerbrechen. Wenn du einen Nackten siehst, bekleide ihn, und dem, der deines Fleisches ist, entziehe dich nicht. Dann wird wie die Morgenröte dein Licht anbrechen und deine Heilung rasch aufsprießen, deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen und die Herrlichkeit des Ewigen wird dich aufnehmen!"
Ja, liebe Schwestern und Brüder, wir werden Ostern, Pascha, Versöhnung feiern, wir werden österliche Menschen werden, weil Gott uns mit Christus versöhnt!
Und so bitte ich Sie alle und uns Christen: Lasst euch mit Gott versöhnen!
Amen.