Chrisammesse 2022
Liebe Mitbrüder im priesterlichen und diakonalen Dienst,
liebe Schwestern und Brüder im Ordensstand,
liebe Seminaristen und Studierende,
liebe Schwestern und Brüder in Christus!
Eine junge Autorin und Schriftstellerin hat vor zwei Jahren ein Buch publiziert mit dem Titel: "Gott hat mir nie das Du angeboten". Das Buch sorgte für Aufsehen, es spricht über das Ringen um den Glauben, über die eigene Lebenswirklichkeit und darüber, mit Gott nicht fertig zu sein. Die junge Autorin spricht das an, was uns vielmehr beschäftigen muss als Kirchenmüdigkeit und Kirchenentfremdung – es ist die Gottesentfremdung, die Gottesmüdigkeit, die Gleichgültigkeit, wenn es um Gott geht.
Ob Not beten lehrt, kann ich nicht sagen – sie lehrt auch fluchen und Verzweiflung, sie lehrt oft auch Gottes-Ferne.
Ob "Spiritualität" – in ihrem heute oft inflationären und beliebigen Gebrauch zu Gott hinführt oder nur ein Versuch einer beliebigen Lebensgestaltung ist, kann ich auch nicht sagen.
Und doch darf bei dieser Chrisammesse, bei der die heiligen Öle geweiht werden, ganz ungeschönt und ehrlich gefragt werden: "Was fehlt, wenn ER fehlt? Was fehlt dieser Welt, was fehlt uns Menschen, was fehlt der Kirche, wenn Gott fehlt?"
Was wir heute gemeinsam tun, das Presbyterium, die Priester, die Diakone, die Ordensleute, die Seminaristen, die Getauften, die Gefirmten – öffnet unseren Blick für Gott und für die Menschen.
Die Sakramente sind keine theologische Erfindung irgendwelcher Kirchenfunktionäre, keine Reliquien der Vergangenheit, kein Produkt kirchlicher Tradition, keine Zauberformel, nicht einmal ein spirituelles Highlight, sie sind die greifbare Wirklichkeit Gottes und machen deutlich, wer Gott ist und wer der Mensch ist. Die Gemeinschaft mit Gott wird Dir nicht vorenthalten und nicht aufgezwungen: Gott gibt das Manna, auch in den Wüsten Deines Lebens. Gott weiß um Deine Schuld und die Sünde. Sie bleibt ein Glücksfall, durch sie kommt Gottes Barmherzigkeit in Deinem Leben zum Tragen. Die Liebe zwischen Menschen, fragil und überfordernd zugleich, wird in ihrer Bruchstückhaftigkeit zum Bild der Liebe Gottes, der seine Liebe nie aufkündigt. Die Krankheit, das Leid, all das Bedrückende unseres Lebens, der Krieg in der Ukraine und das sinnlose Sterben sind nie gottgewollt. Aber Gott will, dass der Mensch auflebt. Und Er ist es, der beruft, der zum Dienst weiht, der Dir die Kraft gibt zu einem Tun, das mehr ist als Dienstanweisungen oder Entlohnung.
Und so spreche ich heute Euch, liebe Mitbrüder, ganz besonders an. Ermüdungserscheinungen, Verunsicherungen, Unverständnis, Verdächtigungen, all das ist uns Priestern, Diakonen und Bischöfen, den kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Ordenschristen und Seminaristen nicht fremd, wir leiden darunter, haben aber auch vieles mitverschuldet. Und doch darf ich sagen, ohne zu behübschen oder zu verharmlosen: Meine Zerbrechlichkeit, die Zerbrechlichkeit eines jeden von uns ist auch ein theologischer Ort der Begegnung mit dem Herrn. Papst Franziskus hat kürzlich gesagt: "Die Superman-Priester enden alle schlecht. Der zerbrechliche Priester, der seine Schwächen kennt und mit dem Herrn über sie spricht, dem wird es gut gehen." Das könnte man von den Diakonen, Ordenschristen, Seminaristen, von den Christen insgesamt genauso sagen.
Liebe Mitbrüder, ich möchte Euch Mut machen. Euer Dienst ist unverzichtbar, ist nie Beliebigkeit, richtet sich nicht nach modischem Wunschdenken oder gesellschaftlicher Plausibilität, sondern Ihr seid zuerst immer "Geistliche" – vergesst das nie! Ihr seid kein Auslaufmodell, Ihr habt Zukunft, Ihr werdet gebraucht! Danke für Euren selbstlosen Einsatz im geistlichen Dienst!
Liebe Diakone, ich möchte Euch ermutigen. Ihr seid die Ikone des "dienenden Christus" und das "Auge der Kirche". Der Dienst am Wort Gottes und der Dienst an den Armen prägt Euer Leben.
Danke für Euren Dienst an den Menschen in unserer Diözese!
Neben Beruf und Familie seid Ihr zum Dienst in unserer Kirche bereit!
Liebe Ordensleute, ich möchte Euch ermutigen, Ihr seid immer noch der Stachel im Fleisch der Kirche und der Gesellschaft – Eure Nachfolge ist radikal. Euch hat immer der Mut zum Ungeplanten gezeichnet und Ihr habt Eure Aufmerksamkeit vor allem auf jene gelenkt, die von der Gesellschaft, oft auch von der Kirche vergessen und von der Würde des Lebens ausgeschlossen wurden. Danke für Euer Zeugnis und für Eure Ordenscharismen, mit denen Ihr unsere Kirche, die Diözese und die Gesellschaft bereichert.
Liebe Seminaristen, ich möchte auch Euch Mut zusprechen. Ihr habt es nicht leicht, viele von uns haben es leichter gehabt. Die Verwirrung und Desorientierung auf dem Weg Eurer Ausbildung und Eures Studiums ist größer geworden. Das kirchenfeindliche Klima in unserer Gesellschaft blockiert und hemmt. Auch Ihr seid angefragt und Ihr werdet hinterfragt. Eure Berufsentscheidung wird sogar belächelt, oft seid Ihr überfordert und nicht selten werdet Ihr die Frage stellen: "Werde ich durchhalten?" Danke für Euren Mut zum Weg der Nachfolge Jesu! Wir begleiten Euch mit unserem Gebet, besser noch mit unserem Vorbild.
Auch wir Bischöfe sind angefragt und aufgerieben, tagtäglich zerrieben von der Pluralität der Meinungen, Wünsche und Stellungnahmen – die Zeiten der Exzellenzen und Kirchenfürsten sind hinter uns.
Und gerade deshalb darf ich in großer Gelassenheit und Dankbarkeit sagen: Wir alle sind keine Marktfahrer, die ihre Waren anbieten. Das Evangelium, die Sakramente, unser Dienst lässt sich nicht nach Angebot und Nachfrage ausrichten. Unser Tun und Sein, unsere Berufung ist nicht den Gesetzen des Marktes unterworfen. Wer sich selbst vordrängt, der spaltet und verstellt das Wesentliche: dass nämlich Gott selbst es ist, der durch uns wirkt und der beruft. In der apostolischen Nachfolge, im kirchlichen Amt wird Christus selbst repräsentiert. Das heißt: im Zeichen, in Wort und Tun wird er vergegenwärtigt. Die, die geweiht sind, handeln immer an Christi statt, der das Ursakrament der unverrückbaren und grenzenlosen Liebe Gottes zu uns Menschen ist. Priester sind keine Delegierte des Volkes Gottes, alle Getauften aber sind zum gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen berufen. Die priesterliche Berufung aller Getauften ist der große Schatz unserer Kirche. Jede Engführung und jede Überheblichkeit führt zu Klerikalismus "pur" – eine Gefährdung, die es bei Priestern und Laien gibt.
Schwestern und Brüder, ich möchte Euch ermutigen: Ihr alle seid Volk Gottes, dazu seid Ihr berufen. Ihr habt Teil am priesterlichen, prophetischen und königlichen Amt Christi und seid zu den Menschen durch Taufe und Firmung gesalbt und gesendet. Christ ist man nie für sich allein! Lebt Eure Berufung! Als Kirche sind wir viel mehr als die Summe der einzelnen Glaubenden. Wir alle sind Sakrament, Zeichen der Gegenwart Jesu Christi, so sagt es auch das II. Vatikanische Konzil.
Vielleicht haben viele unter uns eine große Last zu tragen, auch eine große Arbeitslast mit Pfarren, mit vielen Aufgaben, und auch mit dem Alleinsein, mit dem oft nicht Verstanden-Werden, mit dem eigenen Scheitern oder auch mit der Erfahrung, nicht wirklich herausgefordert zu sein. Die letzten Jahre der weltweiten Pandemie haben auch dazu beigetragen.
Der synodale Vorgang in unserer Kirche, zu dem Papst Franziskus weltweit einlädt, möchte ermutigen, den Reichtum der gelebten Erfahrung von Synodalität zusammenzutragen unter dem Motto: Gemeinschaft, Teilhabe und Sendung. Ob Getaufte, Gefirmte, Geweihte oder Ordenschristen – wir alle sind gefordert, die gemeinsame Berufung aller Getauften zu entdecken, die Verantwortung für das Evangelium zu übernehmen und uns aktiv am Weg und an der Sendung der Kirche zu beteiligen.
"Wo man aufmerksam zuhört, wo der eine vom anderen lernt, wo man die Gaben der Anderen zur Geltung kommen lässt, wo man sich hilft und wo man gemeinsam Entscheidungen trifft, ereignet sich bereits Synodalität", sagt der Generalsekretär der Bischofssynode.
Daher meine dreifache Bitte an Euch alle:
Tun wir alles, damit der Weg der Kirche auf dem Hören und auf dem Leben des Wortes Gottes basiert. Wir müssen wieder von Gott reden! Aber damit wir das können, müssen wir zuerst mit Gott reden, beten.
Setzen wir uns dafür ein, dass sich unser gemeinsamer Weg und unser Leben durch das aufeinander Hören, durch die gegenseitige Annahme und durch große Aufmerksamkeit füreinander auszeichnet. Individualismus, Selbstbezogenheit und die "invidia clericalis" sollten nicht unsere Erkennungszeichen sein!
Der synodale Weg ist keine kirchliche Nabelschau. Er ist die einzige Möglichkeit, sich die Hände schmutzig zu machen, die Wunden der Menschen nicht zuzudecken, den Dienst an den Armen zu tun und die missionarische Dynamik der Kirche in Schwung zu halten.
Zweifel, Fragen, Rückschläge und Scheitern werden nicht ausbleiben, trotzdem können wir darauf vertrauen, dass das Feuer nicht erlischt, dass der Glaube nicht verkrustet und dass die Kirche unserer aufgeriebenen und gespaltenen Gesellschaft noch immer viel Kraft geben kann, und: dass Gottes Geist wirkt.
Eine weitgehende Entchristianisierung kann niemals der Booster einer glücklicheren Welt und des Lebens sein.
Das kann auch heißen: Zurück zum Kerngeschäft! Den Himmel auf- und die Mauern einreißen, ausbrechen aus der gemütlichen Echokammer der Gleichgesinnten. Alltägliche religiöse Grundvollzüge wieder lernen, liturgischem Feiern wieder Würde und Kraft geben und wahrnehmen, was außerhalb der eigenen Vorstellungswelt vorgeht.
Das Wort des Propheten, im Evangelium zitiert, möge uns treffen: „Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn er hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine Frohe Botschaft bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe.“
Amen.