Homilie zum Christtag im Martinsdom
Der evangelische Pastor und Lazarettarzt Kurt Reuber schuf die sogenannte Stalingrad-Madonna – eine Holzkohlezeichnung, die eine sitzende Frauengestalt zeigt. Ähnlich einer Schutzmantelmadonna birgt sie unter dem Mantel ein Kind, das sie liebevoll ansieht und ihm Schutz und Geborgenheit gibt. Das Bild der Stalingrad-Madonna trägt die Aufschrift „1942 Weihnachten im Kessel von Stalingrad und dazu die 3 Worte: Licht, Leben, Liebe.“
In einem Brief an seine Mutter schrieb Kurt Reuber noch dazu: „Was soll ich dazu noch sagen? Wenn man unsere Lage bedenkt, in der Dunkelheit, Tod und Hass umgehen, kommen mir die 3 Worte aus dem Johannesevangelium in den Sinn, da unsere Sehnsucht nach Licht, Leben und Liebe so unendlich groß in jedem von uns ist.“
Mit diesen 3 Worten – Licht, Leben, Liebe – kann man wohl am besten und am kürzesten das eben gehörte Weihnachtsevangelium, den Johannesprolog, zusammenfassen. Diese 3 Worte sind im Blick auf die Lage in der Welt von heute mit dem schrecklichen Krieg in der Ukraine und seinen Folgen für uns alle mehr als aktuell – die Menschen in der Ukraine und wir alle erleben hautnah wie sich Dunkelheit, Tod und Hass unter uns ausbreiten. Diese 3 Worte sind die Gegenbotschaft zum Krieg in der Ukraine und sie bringen die Weihnachtsbotschaft auf den Punkt.
Licht.
Ein Blick in unsere Gesellschaft zeigt, dass das Licht unter uns Menschen, nicht nur wegen der gegenwärtigen Energiekrise, abnimmt. In vielen Bereichen des Lebens und Zusammenlebens der Menschen ist es dunkler, kälter und rauer geworden. Die Pandemie mit ihren Folgen, der Krieg in der Ukraine, die große anhaltende Migration, die Klima- und Energiekrise, die sprunghaften Teuerungen machen uns zu schaffen, wecken einerseits die Solidarität untereinander, spalten aber zugleich auch unsere Gesellschaft. Die Egoismen werden stärker, der Umgangston in der Politik wird rauer und die Spaltung der Menschen in „Unsere und Fremde“ wird größer – das ist ein Nährboden für Nationalisten und Populisten bei uns und in Europa. Die Botschaft von Weihnachten ist eine Botschaft des Lichts. Im Kind von Betlehem hat Gott inmitten der Finsternis ein Licht entzündet, das seither leuchtet und die Finsternis dieser Welt u. unseres Lebens erleuchtet. Wir Christen sind durch Taufe und Firmung von Gott berufen und gesandt heute in dieser Welt Lichtträger zu sein. Wir sollen das Licht von Betlehem weitertragen und die Finsternis der Welt erhellen. Entzünden wir an der Krippe wieder das Licht unseres Glaubens und tragen wir die Botschaft von Weihnachten in unsere Familien, Berufswelt, Politik, Kirche und Gesellschaft hinein.
Leben.
Die Corona-Pandemie zeigt uns deutlich wie rasch unser Leben durch ein kleines Virus gefährdet und verwundbar ist. Bei allen modernen Entwicklungen in Medizin, Technik und Wissenschaft bleibt das Leben zerbrechlich. Die Diskussionen um die Würde und den Schutz des menschlichen Lebens in unserer Gesellschaft zeigt wie labil alles ist. Im Namen der Freiheit und der Selbstbestimmung des Menschen werden auch von Höchstgerichten fragwürdige Entscheidungen getroffen, die keineswegs förderlich sind für das Leben, sondern vielmehr einen Dammbruch darstellen und die sich letztlich gegen die Würde des Menschen stellen. Anstatt eine Hilfe zum Leben auch im Sterben zu geben, gibt man eine sogenannte „Hilfe zum Suizid“! Die Botschaft von Weihnachten ist eine Botschaft für das Leben und zum Schutz jedes Lebens von der Empfängnis bis zum natürl. Tod. Im Kind von Betlehem ist Gott selber Mensch geworden und hat damit jedem Leben seine Würde und seinen Wert gegeben. Als Christen glauben wir, dass Jesus eine neue Qualität von Leben bringt, uns einen anderen Umgang miteinander zeigt. Die Begriffe Respekt, Toleranz, Wertschätzung, Würde, Achtsamkeit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit stehen dafür. Braucht es nicht gerade das heute in unserer Welt, in Kirche und Gesellschaft? Das ist es, was unser Leben und Zusammenleben hell, lebenswert und liebenswert macht. Jesus hat uns mit seinem Leben gezeigt, wie wir im Leben miteinander umgehen sollen in Familie, Beruf, Politik, Kirche und Gesellschaft – mit Würde, Wertschätzung und Aufmerksamkeit. Das bringt eine andere Lebensqualität in unser Leben!
Liebe.
Das tägliche Leben mit seinen Herausforderungen zeigt uns allen wie groß die Solidarität und Nächstenliebe unter den Menschen in Krisenzeiten ist, wie rasch aber Solidarität und Nächstenliebe nachlassen und in Egoismus, Neid und Feindseligkeit umschlagen können. Die Botschaft von Weihnachten ist und bleibt die Botschaft der Liebe. Im Kind von Betlehem hat Gott seine große Liebe zu uns Menschen gezeigt, indem er uns bis in den Stall nachgeht, sich für uns klein und angreifbar macht, um uns seine ganze Liebe zu schenken. Von uns verlangt er nur, dass wir diese seine Liebe annehmen, uns von ihr im Herzen berühren lassen und diese Liebe im Leben weitertragen, damit diese unsere Welt besser, liebenswerter und lebenswerter wird.
Die Botschaft des Weihnachtsevangeliums lautet: Licht, Leben, Liebe. Lassen wir uns an diesem Weihnachtsfest vom Kind in der Krippe im Herzen anrühren und werden wir immer bessere Lichtträger, Lebensschützer und Boten der Liebe, damit nicht die Dunkelheit, der Tod und der Hass das letzte Wort hat, sondern das Licht, das Leben und die Liebe. In diesem Sinne wünsche ich allen Frohe Weihnachten!
Amen.
Ägidius J. Zsifkovics
Diözesanbischof von Eisenstadt