Predigt zum ökumenischen Gottesdienst
Predigt zum ökumenischen Gottesdienst am Mittwoch, den 18. Jänner 2023 in der evangelischen Kirche in Gols
Sehr geehrter Herr Superintendent, lieber Mitbruder,
Sehr geehrte Frau Pfarrerin Ingrid Tschank, Lieber Pfarrer Gabriel Kozuch,
Ehrwürdige Schwestern Zisterzienserinnen aus der Abtei Marienkron,
Liebe christliche Gemeinde,
Wer ist der neue Mensch?
Wer ist der Mensch überhaupt?
Diese Grundfragen beschäftigen die Menschheit seit jeher. Besonders aber die Philosophen und Theologen – all jene, die tiefer schauen und weiter blicken und alle jene, die den Menschen nicht nur als Arbeitskraft, nach den Kategorien von Reichtum, Erfolg und Schönheit in den Blick nehmen, sondern den Mut haben, die Frage nach dem Menschen immer noch zuzulassen und über den Tellerrand des Alltäglichen zu schauen.
Auch die Heilige Schrift tut dies, die zentrale Botschaft von Gott redet von der Menschwerdung. Dieses Fest haben wir erst gefeiert. Menschwerdung aber ist eine Lebenswirklichkeit, begleitet uns tagtäglich, reibt uns auf und lässt uns nicht in Gleichgültigkeit versinken.
Wer ist dieser neue Mensch?
Ideologien haben darauf keine Antwort gegeben, politische Systeme liefern heute noch das Gegenteil, Religionen haben diesen Menschen missbraucht und entstellen ihn immer noch. Wir haben zu viel im Laufe der Geschichte zerschlagen, wir haben uns ausgegrenzt und einander bekämpft – auch in unsren christlichen Kirchen – wir haben uns misstraut bis zu Hass und Anschuldigungen. Ungerechtigkeiten und Übel blieben den Menschen in keiner Epoche unserer gemeinsamen Geschichte fremd, auch wir sind immer wieder zu Baumeistern dieser Lebensentfremdung geworden. Wir haben den Menschen entstellt, jenen, vor dem Gott in der ganzen Heilsgeschichte niemals zurückschreckte, jenen, der die Züge Gottes trägt.
Was vorgestern im Zusammenhang mit der weltweit unberechenbaren Pandemie zuerst noch als Solidarität ausgegeben wurde, hat sich sehr bald als egoistischer Individualismus und egozentrischer Überlebenstrip ausgegeben und entlarvt. Was gestern noch als europäische Friedensmelodie vielfach besungen wurde, ist heute einem sinnlosen, unerklärlichen Krieg mit all seinen unschuldigen Opfern gewichen. Was gestern noch als Ideal des neuen Menschen verkauft wurde, ist heute schon längst fragwürdig geworden. Ungleichheiten, arm und reich, unschuldig Ausgegrenzte und unverdient Bereicherte sind zur greifbaren Wirklichkeit geworden. Familien und alte Menschen ringen oft um ihr Überleben, während für viele andere die Gier des Besitzens unerträglich geworden ist. Diese ungleichen Lebensgeschwindigkeiten und Lebenszugänge zeugen von einem großen Mangel an Ehrfurcht vor dem menschlichen Leben.
Wir müssen ehrlich zugeben: irgendwie sind wir entgleist und wir wissen nicht, wohin die Reise geht. Die Kirchen sind in diesem ganzen Umwälzungsprozess längst keine Inseln des Heils, keine Zufluchtsstätten menschlicher Sehnsucht – mögen sie noch so „fromm“ sein. Vielmehr müssen wir zugeben, dass auch wir, wie auch die anderen Nachdenklichen in Gesellschaft und Politik, in Wirtschaft und allen Lebensentfaltungen oft zu weit von den Lebensentwürfen der Menschen entfernt sind. Wir alle, auch die Kirchen, möchten gerne so „modern“ sein und können nur schwer wahrhaben, dass die Moderne schon längst abgesagt ist und dass wir nicht einmal die Lebenserosionen des postmodernen Menschen verstehen können.
Wer ist dieser neue Mensch?
Derjenige, der alles hat und sich alles leisten kann? Auch das in den letzten Jahren mehr als fragwürdig geworden – die neue Armut schleicht um sich. Der, der alles weiß und doch der Wissenschaft misstraut, nur weil er sein Wissen anscheinend jederzeit vom Bildschirm herunterlädt? – Auch die vielgepriesene soziale Kommunikation hat uns noch mehr isoliert und krank gemacht, weil der Mensch dafür ja nicht geschaffen ist.
Der uralte und große Prophet Jesaja vor tausenden Jahren mit ähnlichen Herausforderungen gelebt: Kriege, Unruhen, die Gier nach Reichtum und Macht, Götzendienst, die Unterdrückung der Armen, die Irrwege des Volkes Israel. Und weil er die große prophetische Stimme Gottes ist, hat er das große Wort gesagt: „Lernt, Gutes zu tun! Sucht das Recht!“ (Jes. 1, 17). Man könnte fast sagen, das ist die Schule der Menschwerdung, der Weg des neuen Menschen – sicher viel mehr als ein billiges Rezept, das heute vielfach verlockend und verführerisch angeboten wird.
Die Gebetswoche für die Einheit der Christen halten wir, die christlichen Kirchen, durch viele Jahre schon in gemeinsamer Intention und Tradition. Wir bitten um Gottes Geist, der unbändig und unberechenbar ist, wir bitten um die Kraft der Versöhnung, die nie vergeblich ist, wir bitten um den Mut der Überwindung all dessen, was uns noch gegenseitig ausgrenzt. Wir sind zwar noch lange nicht Eins geworden, aber trotzdem haben wir viel voneinander gelernt. Papst Franziskus hat am vergangenen Sonntag in Rom gesagt: „Der Weg zur christlichen Einheit und der Weg der Kirche zur synodalen Umkehr sind miteinander verbunden.“ Gerade für das Gehen dieses Weges können wir von unseren Schwesterkirchen, von Euch, den Kirchen der Reformation und von den Kirchen der Orthodoxie, vieles lernen – dafür sind wir sehr dankbar!
Hier in der Pfarre Gols wurden schon vor 40 Jahren – zuerst zwar zaghafte – aber doch große ökumenische Schritte gewagt. Pfarrerin Tschank hat uns bei der Begrüßung auf diese aufregende Besonderheit hingewiesen.
Darüber hinaus ist in unserem kleinen Land, mit seiner spezifisch historisch gewachsenen Situation vieles geschehen, was uns aufatmen und hoffen lässt: ein Land der Solidarität, der Großzügigkeit, der Gastfreundschaft, ein Land an den Grenzen und der Grenzüberwindung, ein Land der Entbehrung und zugleich ein Land, das reich beschenkt ist.
Menschen, die Gutes wagen und Gutes tun, Menschen, die die Freiheit und die Entscheidungen der anderen akzeptieren, Menschen, die hoffentlich immer noch die Gewissensfreiheit der anderen respektieren, Menschen, die aufeinander zugehen, auch, oder gerade deshalb, weil ihr Leben vom Reichtum verschiedener Kulturen, Sprachen und Herkünfte geprägt ist. Menschen verschiedener christlicher Kirchen, die aber erahnen dürfen, dass sie alle, die Getauften, Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes sind.
Natürlich haben wir auch vieles verloren und es fehlt uns, wie zum Beispiel das Glaubenszeugnis des jüdischen Volkes als Grundlage unseres christlichen Glaubens.
Liebe Brüder und Schwestern,
das Leben ist polyphon und vielstimmig, aufgerieben und voller Fragen, oft überfordert es uns – auch uns Christen.
Ich bitte Sie: Suchet das Recht! Tut Gutes!
Das ist kein billiges Gebrauchsrezept zum Christsein, sondern eine Ermutigung im Glauben für uns alle.
Wer sind wir, dass wir uns gegenseitig nicht mit der Sprache der Ermutigung aufrichten könnten? Und wer sind wir, dass wir nicht zugeben müssten, dass Gemeinschaft uns trägt? Wer sind wir, dass wir Gott nicht zutrauen könnten, dass er uns zur Einheit befähigt?
Amen.
Ägidius J. Zsifkovics
Bischof von Eisenstadt
Begrüßung und Liturgische Eröffnung (Pfarrerin Ingrid Tschank)
Liebe Schwestern und Brüder!
Herzlich Willkommen zum Ökum. Gottesdienst zur Gebetswoche für die Einheit der Christen, hier in der Evang. Kirche in Gols und wo immer sie uns zusehen.
Ich freue mich heute besonders, denn wir feiern das 40. Jubiläum. 1983 haben Pfarrer Günter Nussgruber und Mutter Rosaria gemeinsam mit den Zisterzienserinnen von Marienkron diese ökum. Gemeinschaft begonnen. Bis heute feiern und pflegen wir diese Verbundenheit.
So begrüße ich besonders herzlich Schwester Mirjam. Äbtissin Ancilla und andere Schwestern müssen sich leider krankheitsbedingt entschuldigen. Wir wünschen ihnen gute Besserung!
Es ehrt unser Jubiläum, dass Diözesanbischof Ägidius Zsifkovics und Superintendent Robert Jonischkeit bei uns sind und ich Danke, dass sie heute mit uns feiern.
Du, lieber Pfarrer Gabriel Kozuch, bist seit vielen Jahren dabei. Danke Dir dafür und sei herzlich gegrüßt.
Wir sind versammelt und feiern im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Hinführung (Superintendent Robert Jonischkeit)
„Lernt, Gutes zu tun! Sucht das Recht! Schreitet ein gegen den Unterdrücker! Verschafft den Waisen Recht, streitet für die Witwen!“ Dieser Vers aus dem Buch Jesaja steht dieses Jahr über der Gebetswoche für die Einheit der Christen. Die lokale Vorbereitungsgruppe für die diesjährigen Texte kommt aus den Vereinigen Staaten von Amerika – genauer gesagt aus Minnesota. Aufgrund eigener tragischer Erfahrungen legt sie uns das Thema Rassismus ans Herz.
Jesaja forderte das Volk Gottes seiner Zeit auf, zu lernen, gemeinsam Gutes zu tun, gemeinsam Recht zu suchen, gemeinsam den Unterdrückten zu Hilfe zu kommen, gemeinsam die Waisen zu verteidigen und für die Witwen einzutreten. Die Herausforderung des Propheten gilt auch für uns heute. Wie können wir unsere Einheit als Christen leben, um den Übeln und Ungerechtigkeiten unserer Zeit entgegenzutreten? Dieser Frage wollen wir in diesem Gottesdienst nachgehen.