Von einer Stille, die herausfordert
Es wird wohl ganz anders gewesen sein! Keine Spur von Süßlichkeit, keine sanfter Engelgesang, keine Geschenke von fremden Wesen, keine „stille Nacht“, als Jesus geboren wurde. Es wird vielmehr blutig zugegangen sein, vielleicht mit einem Schreien der Mutter vor Schmerzen, dann die Geburt, Mutter und Kind erschöpft. Wenn Eltern ihr Neugeborenes betrachten, herrscht Freude vor, zugleich kommt aber auch eine erste Sorge: Was wird das Leben für dieses Kind bringen? Wird alles gut werden?
Zu dem Zeitpunkt, als die Weihnachtserzählungen geschrieben wurden, wussten die Autoren bereits, was das Leben diesem Kind gebracht hat. Sie wussten, wer hier geboren wurde. Vom „Ende“ blicken sie auf den „Anfang“ zurück: Weihnachten in seinem vollen und eigentlichen Sinn ist nur von Ostern her zu verstehen. Von Ostern her erschließt sich das Leben, das Sterben – und auch die Geburt – Jesu. Von Ostern her aber ist klar: Dieses Kind hat mit Gott zu tun – unendlich viel, anders als erwartet, ganz vital.
So spiegeln sich etwas im Bild vom macht-losen Kind im Futtertrog die Erfahrungen mit dem „macht-losen“ Mann aus Nazaret und seiner Verkörperung der Gottes-Herrschaft“ wider. Und das ist die eigentliche Frohbotschaft! Gott kommt nicht mit niederschmetternder Gealt oder mit Pauken und Trompeten! Gott überwältigt die Menschen nicht oder fährt über sie drüber. Er jagt keine Angst ein. Gott kommt – menschlich, gewaltlos, überraschend anders – in den Spuren eines ganz bestimmten Menschen. Was Gottfried Bachl in seiner Meditation auf die Taufe Jesu bzw. auf den „nackten Jesus“ geschrieben hat, passt hervorragend, um auch die Botschaft von Weihnachten zu verstehen: „Für die Gegenwart Gottes ist die nackte Menschengestalt genug, sondern geradezu die einzige Form. Was an diesem Jesus ist, der Leib, die Seele, das Bewusstsein, der Wille, die Gefühle, die Haut, das ist es, womit das ewige Wort Gottes sich verbindet. Hier liegt der Ursprung seiner Wirkung.“
Oder anders ausgedrückt: Gottes Leidenschaft hat „Hand und Fuß“, wird konkret, nimmt Gestalt an. Er setzt das, worum es geht, was ihm am Herzen liegt, in ein konkretes Leben um. Wer Gott ist, was er will, was seine Gegenwart alles zu bewirken vermag, das wird an Jesus ersichtlich, hautnah erfahrbar: „Erschienen ist die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, unseres Retters, allen Menschen“ (Tit 3,4).
Die Weihnachtserzählungen verschweigen zugleich aber auch nicht, dass das Ankommen Gottes in der Welt nicht ohne Widerstände vor sich geht. Menschen tun sich schwer, Gott ich ihrem Leben, in ihrem Denken, Fühlen und Tun ankommen zu lassen: „Er kann in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf“ (Joh 1,11). Wo jedoch Gott ankommen kann, eingelassen wird, da geschieht Wunderbares: da verwandeln sich die eigene Dürftigkeit, das eigene Elend, der Starrsinn, das Störrische, die „Eselein“, das Dunkle und Kalte im Menschen. Wo Gott ankommen kann, da geschieht „Mensch-Werdung“.
Aus: Stefan Schlager "Lust auf Glauben", Echter Verlag Würzburg 2006, Seiten 71-72