Zwischen Freude, Streit und Versöhnung
Weihnachten – ohne Christbaum, ohne Weihnachtskrippe? Nein, das geht gar nicht, genauso, wie Weihnachten ohne „Stille Nacht“. Das wurde mir von klein auf mitgegeben. Später durfte ich Weihnachten vorbereiten als Student in Zagreb und in Rom, den Christbaum schmücken, die Krippe aufstellen und das bewegendste aller Weihnachtslieder in deutscher, kroatischer und italienischer Sprache anstimmen. Die Tanne, die schönen Lieder sind irgendwie ein österreichisches Proprium, bei mir gemischt mit kroatischem Sondergut. Das ist mir bis heute geblieben: Weihnachtsbäume mit ihrem unverwechselbaren Duft – künstliche Bäume sind mir fremd, Krippen in allen Varianten, Weihnachtssterne – nicht aus Plastik, das Singen, das Beten, die festliche Stimmung, der Weihrauch, auch Tränen und viele Erinnerungen. Wobei dieses Fest für mich nie in Kindheitserinnerungen aufgeht, sondern immer neu Wirklichkeit wird: Gott ist wirklich, er ist keine Idee, kein Wunsch, kein Irrläufer, sondern wirklich Mensch in diesem kleinen Kind von Betlehem.
Apropos Erinnerungen: zu diesen gehört auch der jährliche Weihnachtsstreit. Mit dem Heiligen Abend auf dem Kalenderblatt setzte immer auch die emotionale Hochspannung ein, der lange Abend war zu kurz und reichte nicht, um all das zu erledigen, was noch zu tun gewesen wäre. Warum haben wir nicht schon Tage vorher zuhause alles geputzt und auf Hochglanz gebracht? Warum hat unsere Mutter nicht schon eine Woche früher festgestellt, dass der Christbaum erbärmlich ist und dass der Vater wieder einen letztklassigen im Wald umgeschnitten hat, dem er in letzter Sekunde noch kosmetische Operationen verpassen musste mit Anbohren und Einsetzen von Zweigen? Und warum haben meine Schwester und ich nicht schon Tage vorher den Baumbehang in Glitzerpapier gewickelt – in aller Ruhe, denn das, was wir im letzten Moment gemacht haben, hat der Mutter wieder nicht gepasst. Jede Kleinigkeit war groß genug, um Aufregung zu verursachen, die sich dann aber unter dem Leuchten der Christbaumkerzen schlagartig legte. Das alles, dazu die kleinen Gebrauchsgeschenke, die zu richten waren und die weihnachtlichen Gaben, die wir einigen Menschen im Dorf bringen mussten, die weniger als wir hatten, wäre eigentlich schon genug gewesen. Gekocht wurde ohnehin nur kärglich oder gar nicht, der Heilige Abend war ein strenger Fasttag. Aber dazu kam das Andere, heute würde ich sagen, das, was Weihnachten für uns alle so weihnachtlich gemacht hat, und was ich auch später nie als nebensächlich abgetan habe.
Die letzte Rorate am frühen Morgen und die Mitternachtsmette in der Kirche, die Weihnachtsbeichte – übrigens mit einem Riesenandrang vor den Beichtstühlen, aber dafür ging es flott, und die vielen Kilometer zu Fuß zwischen Pfarrkirche und Elternhaus. Und das alles war nie zu viel.
Die Weihnachtsbesuche bei unseren Verwandten waren erst nach dem Christtag möglich, aber nie abgesagt, denn die Kekse schmeckten bei den Anderen immer besser und von den eigenen Bäckereien zuhause war nicht mehr viel übrig. Denn der Heilige Abend und der Christtag gehörten ganz uns, unserer Familie. So ist mir bis heute ein Stück Weihnachten geblieben, zwischen Freude, Sehnsucht, Aufregung, Streit und Versöhnung, und ich bin überzeugt: das Christkind in der Krippe lächelt.
Ich denke an Sie und wünsche Ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest in Frieden und Freude!
Ihr Bischof Ägidius